Wir sind dagegen

nd-Autoren über große und kleine Rebellionen

  • Lesedauer: 11 Min.

Irgendwas läuft falsch. Die Richtung stimmt ganz und gar nicht. Obwohl derzeit viele diesen Eindruck haben, fällt das Umsteuern nicht leicht. Weil »Sachzwänge« dagegensprechen. Weil die Mehrheit nicht mitmacht. Weil die Hoffnung auf Erfolg klein ist. Es dennoch zu versuchen, kostet Kraft, die nicht viele investieren wollen. Wogegen sind nd-Autoren?

Dagegen 1: Leistungssport

Mit 13 beschloss ich, Basketballer zu werden. 1981 meldete ich mich bei der C-Jugend des BC Darmstadt an. Der Klub spielte damals in der Zweiten Liga. Star war ein Riese namens Hansi Gnad. Der hatte mit 15 von Schwimmen auf Basketball umgeschult und wurde dann fast Profi in der NBA. Aber eben nur beinahe. Doch 1993 wurde er mit der Nationalmannschaft Europameister.
Bei mir lief es weniger gut. Wer neu ist, soll erst mal Korbleger üben. Das dauert normalerweise zwei Wochen. Bei mir war das anders: Ich musste ein Jahr lang allein trainieren, hinten in der Ecke der Halle. Kam ein Neuer, freute ich mich, weil ich dann nicht mehr so allein war. Nach zwei Wochen war ich es dann wieder. Ich weiß nicht mehr, warum ich nicht einfach nach Hause gegangen bin. Vielleicht wollte ich mich auf die Demütigungen des Lebens vorbereiten.
Nach meinem ersten Jahr kamen die Spieler aus der D-Jugend in die C. Sie waren jünger und kleiner. Es wurden zwei Mannschaften gebildet. Ich kam zu den Kleinen, unter denen ich körperlich der Größte war. Sie nannten mich »Ernie« und wählten mich zum Kapitän. Wir waren »BC Darmstadt 2« und verloren jedes Spiel, zum Beispiel gegen »TV Langen 4«. Vor jeder Niederlage bildeten wir einen Kreis und ich rief: »Let’s fetz!« Zusammen mit einem anderen Jungen, der von der ersten in die zweite Mannschaft runtergestuft worden war, spielte ich Center. Das sind die Spieler, die unter dem Korb des Gegners die Punkte machen sollen. Wir zwei Center warfen pro Spiel vielleicht jeder vier oder fünf Körbe. Das ist sehr wenig.
Nach einem weiteren Jahr sollten wir in die B-Jugend wechseln, die trainierten dreimal die Woche. Ich ging zweimal hin und ließ es dann bleiben. Die waren zu schnell für mich, ich konzentrierte mich mehr auf Bier und Zigaretten. An der Uni traf ich dann einen von den Kleinen aus meiner alten Loser-Mannschaft wieder. Ich erkannte ihn an seinem Namen: Bengt. So hieß sonst niemand. Er konnte sich an mich nicht erinnern, auch nicht an irgendeinen »Ernie«. Als wäre ich unsichtbar gewesen. Christof Meueler

Dagegen2: Stau

Autofahren macht aggressiv. Manierliche Menschen werden zu Furien, wenn sie länger als fünf Minuten hinterm Lenkrad sitzen. Sie regen sich auf, weil der Straßenverkehr an sich eine Zumutung ist. Alles wird zum Feind: die Fußgänger, die Radfahrer, die anderen Autofahrer, die Tempolimits, die Baustellen, die vorschriftswidrig haltenden Möbeltransporter, das Rot der Ampeln, die Umleitungen. Es ist ein Elend. Gäbe es in allen Autoinnenräumen Videobeobachtung – Psychologen, Psychiater und Amtsrichter hätten noch viel mehr zu tun als ohnehin.
Wie wohltuend ist es da, sich antizyklisch zu bewegen. Wer immer es sich leisten kann, möge es ausprobieren. Am Morgen, wenn alle in die Stadt zur Arbeit müssen, in die Gegenrichtung fahren. Am Nachmittag, wenn die Masse wieder hinausdrängt, Kommando zurück. Man hat freie Bahn, gleitet nahezu unbeeinträchtigt dahin und kann in Muße das Geschehen auf der anderen Fahrbahn beobachten. Ah, wie sich dort der Stau aufbaut. Wie sie ungeduldig werden, aufs Lenkrad trommeln, hektisch über Schleichwege grübeln. Wie die Zornesröte in ihre Gesichter steigt. Wie die Ersten entnervt ausscheren und wenden, weil ihnen das Warten zu lange dauert. Wie sie hupen und anrucken und millimeternah aufrücken. Und noch schöner: Wie man, wenn das Ende des Staus passiert ist, jenen begegnet, die noch ein paar Augenblicke glauben werden, dass sie zügig vorankommen, bevor sie nach der nächsten Biegung das Unheil erkennen. Schadenfreude ist keine schöne Sache. Und doch: So schön kann das Schwimmen gegen den Strom sein. Wolfgang Hübner

Dagegen 3: Träumen

Linke Demonstrationen sind, wie man weiß, von Humorlosigkeit gekennzeichnet. Wer lacht, womöglich gar an der falschen oder sonst einer vom Politbüro nicht dafür vorgesehenen Stelle, der nimmt den doch so notwendigen politischen Kampf nicht ernst genug, so wird unter den Genossen pfeilschnell gemutmaßt. Schließlich ist es eine überaus ernste Sache, gegen oder für die man kämpft: Welthunger, Kapitalismus, Weltfrieden, Revolution. Da muss der Witz, der – zumindest in der sogenannten Traditionslinken – für gewöhnlich als Äußerungsform eines als zersetzend bzw. dekadent verstandenen Skeptizismus wahrgenommen wird, verbannt werden. Erst recht jener, der sich über linke Rituale und Phrasen lustig macht, etwa Phrasen von der Sorte, wie sie seit Jahrzehnten stur auf Bettlaken geschrieben werden, die dann auf den besagten Demonstrationen ebenso hartnäckig wie stolz herumgetragen werden (»Nieder mit«, »Kampf dem«, »Nein zum«, »Stoppt die«, »Nie wieder« usw.). Oder Phrasen von jener unzerstörbaren Sorte, bei denen der Kitsch so fest mit der unfreiwilligen Komik verschweißt scheint, dass sie bereits erfolgreich in die Geschichte der linken Peinlichkeiten eingegangen sind (»Leben, lieben, träumen, kämpfen!«).
Ein Mal, wenn auch nur dieses eine Mal, habe ich etwas unternommen, um die Genossinnen und Genossen wachzurütteln, ihnen die ihrem Tun innewohnende Armseligkeit – die Gleichförmigkeit, den Trübsinn, die immer gleichen Parolen aus dem Pleistozän der Geschichte der Linken! – vor Augen zu führen. Es muss Ende der 90er Jahre gewesen sein. Ein Freund und ich hatten die Idee, unsere Teilnahme an der sogenannten revolutionären Berliner 1.- Mai-Demonstration dieses Mal mit einem großen selbst gebastelten Transparent aufzuhübschen, das wir zu zweit tapfer durch die Reihen unserer Revoluzzerfreunde trugen. Darauf hatten wir unseren eigenen Slogan geschrieben: »Hier könnte Ihre Werbung stehen.« Thomas Blum

Dagegen 4: Lachzwang

An Männer werden höhere Fröhlichkeitsanforderungen gestellt als an Frauen. Neulich zum Beispiel, in einer Runde mit vier Frauen und zwei Männern, wurde ein ernsthaftes redaktionelles Problem ernsthaft besprochen. Plötzlich sagte die Chefin zum Redakteur: »Jetzt lach’ doch mal!« Was den Mann verärgerte, so dass er abends einem Freund sein Leid klagte, der ihm riet, in derartigen Fällen freundlich-charmant zu bleiben, rein äußerlich, das gefalle Frauen und bringe Männer weiter. Wenn Kolleginnen Altdamenwitze rissen, müsse er blitzschnell eine witzige Replik parat haben. Das hatte der Mann schon oft gehört. Weil er wegen des ernsthaften Problems ohnehin unter Druck war, kippte seine Stimmung ins Wütende, er ging in die Küche und zertrümmerte sechs Essteller, in drei Runden à zwei Stück.
Ein paar Tage später – ein Kollege war zwischenzeitlich in seinem Jahresgespräch dafür gelobt worden, dass er immer so gut gelaunt sei, weitere Anmerkungen zu seiner Arbeit gab es nicht – hörte er von einer anderen Idee: Wenn Frauen schwachsinnige Späße machen, sei es eigentlich angemessen, etwas Schwachsinniges zu erwidern. Wenn etwa die Vorgesetzte zu ihrem Untergebenen, mit dem sie das Bett teilt, in einer Konferenz sagt: »Warum habe ich dir nur das Rechnen beigebracht?«, ließe sich zum Beispiel antworten: »Mutus dedit nomen cocis.« Diesen Trick fand der Mann eigentlich ganz witzig. Adam Schwarz

Der größte Strom der Erde hat nicht drei Buchstaben, sondern zehn: Mainstream. Galt früher eine Band ebendort angekommen, wenn sie große Hallen füllte, oder ein Autor, wenn er ordentlich an seinem Werk verdiente, hat der Mainstream längst Politik, Gesellschaft, Kultur, die »bürgerlichen Medien«, die Linke und alles, was da kreucht und fleucht, mit sich gerissen.

Dagegen 5: alle anderen

Schon wer meint, sich ihm entgegenzustemmen, und die Welt regelmäßig selbst über diese beachtliche gedankliche Leistung informiert, ist deshalb ein wahrer Held. Er bringt es schnell zur Prominenz in den eigenen Kreisen, zu einem, über den die Mainstream-Medien Böses schreiben. Vielleicht sogar zum US-Präsidenten. Todsicher findet sich irgendwer, der ihn als »unbequem«, »Querdenker« oder gar »Tabubrecher« adelt.
Wird ein rechter Verlag zu einem »im Mainstream nicht wohlgelittenen«, ist bestimmt ein solcher Held am Werk. Wird Wut und Aufruhr in der Gesellschaft erklärt mit »falscher Berichterstattung der Mainstream-Medien, die ich Fake News nenne«, wütet ein heldenhafter Präsident. Liest man sogar in dieser Zeitung, was gegen den Mainstream sei, werde als Populismus diffamiert, dann hat jemand zumindest heroisch um die Ecke gedacht.
Selbst wenn ein wahrer Held mit Tausenden anderen krakeelt, fühlt er sich wie der einsame Rufer in der Wüste; jeden Abend, wenn seine Meinung in den Talkshows ausgebreitet wird, denkt er: Endlich sagt es mal einer! Und anders als der Falschfahrer im bekannten Witz, der die Verkehrsmeldung kommentiert mit »Nicht einer – Hunderte!«, fährt der Held brav allen Schildern nach, die der Zeitgeist aufgestellt hat, und findet doch seine individuelle Großtat darin. Regina Stötzel

Dagegen 6: Selbstoptimierung

In der Schule müssen wir jetzt in unseren Schulplaner einmal die Woche ein Ziel schreiben, das wir erreichen wollen. Die Sätze sollen immer mit »Ich werde« anfangen, und dann ein Ziel, das wir »smart« finden. »Smart« ist eine Abkürzung für irgendetwas, das an der Pinnwand in unserer Klasse erklärt ist. Es soll ein Ziel sein, das schaffbar ist. Ich finde das doof, weil es nichts bringt. Man kann sich ja irgendwelche Ziele ausdenken. Also habe ich bisher geschrieben »Ich werde meinen Kaugummi ausspucken« oder »Ich werde an mein Sportzeug denken«, obwohl die Sportsachen sowieso in der Schule bleiben. Als Ziel habe ich auch »Ich werde meinen Dienst nicht vergessen« aufgeschrieben. Dabei werden wir in der Klasse eh an den Aufräumdienst erinnert, den wir machen müssen.
Unsere Lehrerin findet die Idee mit den smarten Zielen nicht so schlecht, glaube ich. Im Unterricht sagt sie drei oder vier Namen und die Schüler müssen dann ihre Ziele vorlesen. Die Lehrerin fragt dann: »Ist das smart?« Und wir sollen antworten ja, weil so und so, oder nein, weil so und so. Die meisten aus meiner Klasse schreiben was Leichtes als Ziel in den Schulplaner, manche einfach gar nichts. In unserem Heft sollen wir auch »Meine Erkenntnis der Woche« ausfüllen. Da schreibe ich so gut wie nie etwas rein, das wird aber auch nicht vorgelesen. Wofür das wichtig ist, weiß ich nicht. Das Ziel muss ja für eine ganze Woche gelten, aber man hat ja jeden Tag ein anderes Ziel. Eigentlich könnte man auch kleine Sachen, wie den Bus zur Schule kriegen, so nennen. Matti Sprügel, 12 Jahre

Dagegen 7: Klatschzwang

Sie kennen das: Man sitzt in einem Konzert, das Publikum ist entspannt, ergriffen, euphorisiert – je nachdem. Nach den Musikstücken wird höflich Beifall gespendet, es kommt zu dem einen oder anderen Gefühlsausbruch im Auditorium. Dann naht das Ende der Vorstellung, die letzte Darbietung wird angekündigt. Schließlich der Schlussapplaus, der sich steigert, weil ja die unausgesprochene Verabredung lautet: Die Künstler müssen noch mal raus. Zugabe. Aber zur Verabredung gehört auch: Die Künstler zieren sich ein wenig. Sie zögern und wollen gelockt werden. Das Publikum intensiviert den Applaus – und nun geschieht das schier Unvermeidliche: Es wird im Einheitstakt geklatscht. Das fügt sich meistens innerhalb weniger Sekunden. Ein ganzer Saal voller mündiger Erwachsener, alle frei in ihrem Willen, egal ob 25 oder 2500 Leute, schlägt im Gleichmaß in die Hände: Zu-ga-be! Zu-ga-be! Ganz ohne Animateur. Das Einheitsklatschen ist tief eingeübt, jedenfalls bei den Deutschen. Von Kindheit an. Wenn schon Begeisterung, dann in geregelten Bahnen.
Sich dem zu widersetzen ist zwar etwas wohlfeil, denn im Massenrausch merkt es ja keiner, aber es hat doch etwas Befreiendes. Ein winziger Ausbruch aus dem Korsett. Ein Hauch von Verweigerung. Hier und da eine Rhythmusverschiebung einbauen, das kann schon selbst ein bisschen Musik sein. Synkope würden das die Musiker nennen. Versuchen Sie es, und Sie werden sehen: Man braucht schon ein Minimum an Willenskraft, um sich dem Sog der Masse zu entziehen. Freiheit ist auch die Freiheit der Andersklatschenden. Wolfgang Hübner

Dagegen 8: Bücher für Mädchen

Ich bin in einem Land zur Schule gegangen, in dem Mädchen und Jungen getrennt unterrichtet werden. In der Sekundarschule hatten wir Werkunterricht, in dem es um praktische Kompetenzen gehen sollte. Da hatten Mädchen und Jungen sogar unterschiedliche Lehrbücher. Bei den Mädchen ging es um das Kochen, Schneidern, Stricken und Kinderbetreuen, während die Jungen sich mit Technik und Elektronik beschäftigten und Handwerke erlernten.
Nichts fand ich damals furchtbarer als jenen Schulunterricht. Wir mussten einen Rock, einen Schal und eine Schürze anfertigen. In unserer Familie gab es keine geschlechterorientierte Erziehung wie in der Schule. Wir spielten mit Cousins und Cousinen fast alles zusammen, vom Spiel mit Puppen bis zum Fußball. Da konnte ich die schulische Trennung nicht richtig begreifen, bis eines Tages mein Cousin in meinem Buch blätterte und sich die Essensbilder anschaute. »Wie lecker das Mädchenbuch aussieht!«, sagte er begeistert. Das war mir peinlich, und ich war sehr wütend.
Dieser einfache Satz – ich war damals 13 Jahre alt – machte mir klar, wie die unterschiedlichen Bücher auch unsere Welten auseinandergehen ließen. Da begann der kleine Kampf meiner Jugendzeit. Ich hatte vor, nach der letzten Abschlussprüfung den ganzen Schulhof mit den herausgerissenen Blättern dieser Bücher vollzuwerfen. Auch andere Schülerinnen brachte ich dazu, ihre Bücher zu zerreißen. Sie machten gerne mit. Nicht weil sie, wie ich, gegen diesen Unterricht kämpfen wollten, sondern weil sie die Schule an sich hassten. Bahareh Ebrahimi

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