- Kultur
- TV-Rückblick 2018
Dystopisch bis banal
Mal wieder Kostümfernsehen und Qualitätsware in lausiger Übersetzung - das Fernsehjahr 2018
Das ablaufende Fernsehjahr war so komplex und vielschichtig, dass man einen Rückblick am besten damit beginnt, was unbeirrt den ARD-Vorabend dominiert: ein Quiz. Also, was passt nicht in diese Auflistung herausragender Serien: »Patrick Melrose«, »The Romanoffs«, »Paradise PD«, »The Terror«, »Bodyguard«, »The Kominksy Method«, »Haunting of Hill House«, »The Looming Tower«, »Succession«, »Maniac« oder »Bad Banks« - na? Richtig: letzteres. Abgesehen vom Zwischenkriegsepos »Babylon Berlin« und dem Sequel vom »Boot«, das allein auf Sky läuft, war Christian Schwochows Finanzweltdrama Deutschlands einzige Serie von Weltrang.
Obwohl - Serie?
Als solche hat Arte den Sechsteiler Anfang März zwar verkauft. Doch weil er pausenlos an zwei Abenden nacheinander lief, war es trotz angekündigter Fortsetzung eher ein Dreiteiler, wie es sie aus hiesiger Produktion dauernd gibt und sagt damit viel darüber aus, was in den vergangenen zwölf Monaten sonst so am Bildschirm lief. Denn das war - großes Wort, gewiss - die Revolution der Revolution. Nicht mehr, nicht weniger.
Während Video-Portale nämlich in hoher Frequenz Highendfiktion streamen, zeigt das lineare Programm brav, tja - was? Die ausländischen ARD-Kommissare 762 bis 763 debütierten in Prag und Amsterdam. Das Zweite setzte bewährtes Kostümfernsehen von »Tannbach« bis »Ku’damm« fort. ZDF-Ableger Neo (»Tabula Rasa«) entwickelte sich wie Arte (»Elven«) weiter zum Hauptimporteur fremdsprachiger Qualitätsware in lausiger Übersetzung. Und die Privatsender? Hatten abgesehen vom tapferen Late-Night-Talker Klaas Heufer-Umlauf exakt zwei Lichtblicke: den drolligen Daniel Donskoy als falscher Pfarrer »Sankt Maik« auf RTL und das neue Vox-Kunststück »Milk & Honey« über männliche Prostitution in Brandenburg.
Alles unterhaltsam, vieles irgendwie gut gemeint, einiges - wie die fesselnde Bestseller-Adaption »Parfum« - sogar mutig, also zeitgemäß. Den Zukunftstakt aber schwingt das neue Fernsehen. Und das alte? Hechelt mittlerweile sogar im öffentlich-rechtlichen Kernbereich oft hinterher: Sport, Film, Doku. Ersterer ist vom ZDF zum Online-Krösus DAZN abgewandert, wo die Champions League mit großer Kompetenz verabreicht wird, während der Rechteinhaber Eurosport die Winterspiele im Frühjahr zwei Wochen lang zur problemfreien Zone jubeln durfte. Letztere darf sich in Gestalt aufwendiger Serien wie »Der Mord an Gianni Versace« oder die Musik-Anthologie »Rapture HipHop« gerade auf Netflix neu erfinden. Und selbst auf Spielfilmlänge setzt der Streaming-Primus dank eines Börsenwerts von 100 Milliarden Dollar die Maßstäbe.
Das hochdekorierte Familiendrama »Roma« kann allerdings so wenig wie die furiosen »Meyerowitz Stories« oder »The Ballad of Buster Scruggs« von den Coen-Brüdern darüber hinwegtäuschen, dass die ARD eine Expertin für 90 Minuten mit Niveau bleibt - selbst wenn es im Fall von Kilian Riedhofs Historienthriller »Gladbeck« doppelt so lang wird. Da gute Anstoßzeiten trotzdem oft von opulenter Magerkost wie Mario Adorfs »Karl Marx« oder Alpenglühen à la »St. Josef am Berg« verstopft wird, verschwindet Experimentelles wie das erstaunliche Filmdebüt »Wach« über zwei Teenager auf Schlafentzug in der Nacht oder gleich ganz im Netz, oder etwa die netten Funk-Spielereien »Just Push Abuba« und »Straight Family«.
Wenn Apples Börsenwert im Frühjahr die Billionen-Dollarmarke geknackt hat und der Staubsaugerverkäufer Max Conze den Versicherungsvertreter Thomas Ebling bei ProSiebenSat1 ablöst, wenn es die Hochzeit von Harry & Megan in jede Primetime schafft, aber für den Klimakollaps nur Kulturmagazine bleiben, dürfte eine Art Feuerzangenbowle in Dauerschleife auch 2019 die Einschläge des Untergangs übertönen. Was umso verblüffender ist, als das serielle Topthema von dystopischer Natur war: Von »Ad Vitam« (Arte) über »Altered Carbon« (Netflix) bis »Counterpart« (Amazon) sah die Zukunft düster aus. RTL dagegen geilt sich an »Silvies Dessous Models« auf und lädt Promis zum »Big Bounce«. Deppenfernsehen deluxe.
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