Der genetische Fingerabdruck

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Sexualmord! Die 15-jährige Lynda Mann wurde 1983 vergewaltigt und erdrosselt im englischen Dorfe Narborough aufgefunden. Drei Jahre später dann Dawn Ashworth, ebenfalls 15, im nahegelegenen Enderby. Die Polizei fand keine Spur. Da kam Alec Jeffreys, ein Genetiker der University of Leicester, mit seiner gerade entwickelten Methode des »Riflip« (Laborjargon für RFLP: Restriktions-Fragment-Längen-Polymorphismus) genau richtig. Jeffreys untersuchte damals die Evolution des Gens für Myoglobin, dem Sauerstoff-Transportprotein im Muskel. Er hatte dafür nach einer Gel-Elektrophorese entsprechende »kleingehackte« Abschnitte von DNA fotografiert. An einem Septembermorgen im Jahr 1984 betrachtete er die frisch entwickelte Aufnahme. Sie zeigte die DNA in mehreren Streifen, vergleichbar Strichcodes auf Verpackungen. »Was haben wir denn hier?«, fragte er sich. »Ganz unterschiedliche Muster - so einzigartig, dass jeder Mensch damit identifiziert werden kann.« Jeffreys und seine Kollegen gaben der Zufallsentdeckung den Namen »genetischer Fingerabdruck«. Mit Jeffreys Hilfe wurde nun aus den Spermaspuren des Mörders DNA isoliert. Dann bat man 5000 Männer aus der Gegend ohne Alibi um eine Blutprobe. Natürlich erwartete die Polizei nicht, dass der Täter sich freiwillig beteiligen würde. Doch auch hier half der Zufall. Im August 1987 meldete eine Frau der Polizei, dass ein Kollege im Pub erzählt habe, er hätte sein Blut anstelle eines anderen abgegeben, um diesem zu helfen. Sein 27-jähriger Kumpel Colin Pitchfork hatte ihm weisgemacht, seinerseits mit seinem Blut einem anderen aus der Klemme geholfen zu haben. In Wahrheit war er aber der Mörder! Im Januar 1988 bekannte sich Pitchfork schuldig und bekam lebenslänglich. Im gleichen Zuge wurde ein geistig Verwirrter freigelassen, der einen der beiden Morde gestanden hatte: Seine DNA passte ganz und gar nicht zur Sperma-DNA vom Tatort. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass mittels DNA über Schuld oder Unschuld entschieden wurde. Seit 1987 sind in den USA und England DNA-Tests als Beweismittel zugelassen. Es zeigte sich, dass auch Augenzeugen oft irren - wie auch die US-Justiz: Das »Innocence Project« (Projekt Unschuld) des New Yorker Anwalts Barry Scheck nennt die DNA die »Goldwaage der Unschuld«. 201 fälschlich Verurteilte konnten seit 1992 durch DNA-Tests aus dem Gefängnis geholt werden, darunter mehrere Todeskandidaten. Scheck sagt, von jeweils sieben Menschen, die in den USA hingerichtet wurden, sei mindestens einer unschuldig. Der genetische Fingerabdruck half auch die Gebeine der russischen Zarenfamilie zu identifizieren. Der mörderische KZ-Arzt Mengele wurde - leider erst nach seinem Unfalltod - erkannt. DNA-Vaterschaftstests werden zunehmend zur Normalität. 1994 wurde Alec J. Jeffreys von der Queen geadelt; ständig wird er für den Nobelpreis vorgeschlagen. Großbritannien ist stolz auf vier Millionen DNA-Fingerabdrücke in der Datenbank der Polizei. Doch hier hat sich Sir Jeffreys als Präsident der Britischen Humanisten-Vereinigung gegen die DNA-Begeisterung der Behörden gestellt: »Keine Kriminalisierung! Wir sollten die DNA-Fingerabdrücke ausnahmslos aller Briten in einer Datenbank sammeln, die absolut nicht von der Regierung kontrolliert werden darf. Dann säßen wir alle im gleichen Boot.« Aber wer glaubt heute noch, dass das funktioniert? Sir Alec wird nun auch der »DNA-Sherlock Holmes« genannt. Holmes hatte bekanntlich immer seinen treuen Dr. John Watson zur Seite. Ironie der Geschichte: Der Entdecker der DNA-Struktur ist ebenfalls ein Dr. Watson, James Watson ...
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