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Muss denn Heimat von Übel sein?
Anmerkung zu einer immer wieder aufflammenden linken Debatte
Wer sich mit dem Thema »Heimat« anlegt, betritt ein zerklüftetes Terrain. Zu leicht machen darf man es sich deshalb nicht, sonst gibt es Warnfeuer. So ergeht es jetzt wohl Thorsten Mense nach seinem Artikel »Ein brutales Gefühl«. Leserbriefe zeigen dies. Allerdings ist es schwierig, einer Kette von Behauptungen und Unterstellungen analytisch reflektiert zu begegnen. Die Gefahr, dass Kritik auf ebensolche Weise abgespeist wird, ist groß. Man will andererseits aber auch nicht gleich verständlichen Gefühlsausbrüchen gegenüber tatsächlichem Missbrauch der »Rede von Heimat« abweisend entgegentreten. Da gibt es viel zu kritisieren, zu bedenken und von links aufzuarbeiten.
Der Autor des Artikels betreibt das jedoch zu einfach. Er ergibt sich dem Konzept von »Heimat«, so wie es von rechts her entwickelt wird, lässt kein anderes gelten und versucht es dann mit Blitz und Donner zu zerstören. Es hilft ihm dabei, dass dieses rechte Konzept auch links bzw. bei Linken oft unreflektiert Anklang findet. Es geht aber um Gegebenheiten, die in der Gesellschaft durchaus vorhanden sind und wirken und mit einem Bannspruch - und wenn er noch so heftig ausfällt - nicht aus der Welt zu schaffen sind. Warum ist denn der »Boom der Heimat (…) das Grundrauschen der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung«? (Mense) Vermutlich kommt dem etwas gesellschaftlich Verankertes entgegen. Die einfache Expropriation wird da nicht funktionieren.
In »Kleines Deutsches Wörterbuch« von Florian Illies und Jörg Bong (Frankfurt am Main, 2002) lese ich: »Was Heimat ist und was unter Heimat kommuniziert wird, ist ein himmelweiter Unterschied.« Das Dilemma der Linken wie der Rechten mit der Sache wird dort anhand der Wirkung des elfteiligen Filmepos »Heimat« von Edgar Reitz (1984) lakonisch beschrieben: »Die Linken waren verwirrt, daß Heimatgefühle nicht zwangsläufig mit Verlogenheit einhergehen, die Rechten waren verwirrt, daß Heimat nicht zwangsläufig Idyll ist.«
Die Sache braucht mehr Analyse. Sicher brauchen nicht alle eine »Heimat«, das kann aber nicht heißen, dass sie niemand braucht. Man muss, was ich meine, auch nicht unbedingt »Heimat« nennen. Man kommt aber mit dem Wort einem allgemeineren und auch anderen Konzept vom Phänomen als dem rechten entgegen. Im Duden-Universalwörterbuch und ebenso bei Google bekommt man erklärt, dass »Heimat« meist auf eine Beziehung von Mensch und Raum verweist. Alles ist das sicher nicht. Innerhalb einer Zehntelsekunde wird man nämlich bei Google auch darauf aufmerksam gemacht, dass man zum Wort mit etwa 61,8 Millionen Hinweisen rechnen kann.
Kein Platz ist in der gemeinten Beziehung zwischen Mensch und Raum für die Gleichstellung von »Heimat« und »Nation« oder »Vaterland«, wie es Rechte gerne versuchen. Darauf muss man verzichten, denn der Raum ist kleiner, enger gedacht. Die Konstruktionen »Nation« und »Vaterland« stellen Ansprüche an die Menschen - Steuer, Wehrpflicht, Nationalstolz, Klassenharmonie usw. Mit Rekurs auf »Heimat« stellen Menschen Ansprüche an ihre Lebenswelt - verstanden werden, Gewohnheiten beachten, enge soziale Beziehungen, Konfliktreduktion und vieles mehr.
Deshalb war übrigens den deutschen Faschisten der enge Heimatbegriff gar nicht genehm. Als der Berliner Rundfunk Adolf Hitler zum 50. Geburtstag eine Schallplatte mit Dialektproben schenkte, war dieser - gelinde gesagt - gar nicht erfreut. Dem heimatselig-anbiederischen Eintreten für Dialekte und regionale Umgangssprachen wurde im »Dritten Reich« sehr deutlich der Vorwurf des Partikularismus gemacht. Sogenannte Heimatdichter hatten deshalb oft Probleme mit den Nazis bis hin zum Schreibverbot. »Heimat« ist also (meist erster) Sozialisationsraum, Erlebnisraum, Lebensraum, Erinnerungsraum. »Heimat« ist (meist erste) soziale, sprachliche und kulturelle Wirklichkeit. Sie kann deshalb, anders als »Nation« oder »Vaterland« der Symbole entbehren. Sie ist unmittelbare Lebenswirklichkeit, reflektiert im Lied, im örtlichen Märchen, in der Sage, in Geräten, in der Art von Verrichtungen und oft auch in der Bildlichkeit der örtlichen Wappen und nicht zuletzt in der Mundart.
»Heimat« ist gewiss nicht »nur (!) ein Gefühl«. Das ist im Gegensatz zur Behauptung von Thorsten Mense eben nicht »allerorts zu lesen«, sondern eher wegen der Autorenschaft an vorhersagbaren Stellen. Freilich ist »Heimat« an Gefühle gebunden und über Gefühle aktiviert. Es geht also, blickt man von links auf die Sache, auch nicht um die »Formierung einer neuen deutschen Identität«. Es geht um die konzeptionelle Erfassung der realen Wechselwirkung von »Enge« und »Welt« in verschiedenen Lebensbereichen und ihrem alltäglichen Zusammenführen und Ausbrechen. Eine Debatte darum wäre produktiver als ein einfaches Verdikt.
Geführt haben eine solche Debatte auf literarische Art Schweizer Autoren der Konkreten Poesie. Einer von ihnen, Kurt Marti, schrieb ein Frühlingsgedicht, das im heimattümelnden »Bluemlistil«, wie man ihn in der Schweiz nennt, beginnt: »hahnefuess und ankeballe/früelig trybt scho schtyf/liechti regetropfe falle …« Und was reimt sich darauf? - »radioaktiv«. Das distanziert sich zwar von unkritischer Heimatdichtung und lebt ja auch von dieser Distanzierung, denunziert sie aber keinesfalls. Er braucht sie sogar, um sie fortzuschreiben im Sinne eines linken Selbstverständnisses, das dem Volk seine eigene Sprache, Wahrnehmung und Bewältigung der Welt zugesteht, die auch eine regionale und lokale ist; gefährdet und verteidigenswert, vor Überhebung aber zu bewahren.
»Heimat« ist unbestritten auch Kristallisationskern einer Sehnsucht nach Geborgenheit und »heiler Welt«. »Do sitz mer uff dr Ufmbank, vergisst’n ganzen Streit und Zank.« (Hermann Andert, Oberlausitz). In dieser Sehnsucht stimmt gerade Mundartliteratur aller Gegenden überein. Warum sollte man solche Sehnsucht nicht ernst nehmen? Wollen wir Linken uns nicht mit Marx und Engels auf den Weg machen in eine antagonismusfreie, klassenlose Gesellschaft, die uns auch zurückbringt in die Urformen menschlichen Zusammenlebens? »Heimat« ist die Möglichkeit eines Rück-, Zu- und Vorgriffs darauf. »Heimat« kann konkrete Utopie sein.
Es gibt also vielfältige Ansätze für ein linkes Konzept von »Heimat«. »Heimat« ist eine mögliche Konstante im gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontinuum der Eingriffe und Veränderungen in Lebensraum und Lebensweise. Ausrichtung an »Heimat« hat den Sinn eines Weiterschreibens einer Geschichte unspektakulärer alltäglicher Lebensbewältigung. Das erfasst in vielfältiger Art und Weise Wirksames. Es »verwechselt nicht Menschen mit Bäumen« (Mense), sondern berücksichtigt die Verquickung von individueller und dennoch auch immer spezifischer kulturell und sozial gebundener Lebenswirklichkeit. Chauvinismus und Heimattümelei haben darin keinen Platz. Es braucht kein Heimatministerium.
Wer über diesen Weg ein Verhältnis zu Heimat aufbaut, weiß außerdem, wie vielfältig das alles sein kann. So wird man weder »die Menschen mit den Verhältnissen versöhnen« (Mense), noch das Verständnis für andere Grundlegungen und Verläufe dieser Prozesse verschütten. Im Gegenteil, man wird (zumindest Elemente) der »materiellen Ursachen der Entfremdung« aufdecken (siehe Kurt Marti) und akzeptable Methoden ihrer Überwindung entwickeln können. Dann wird man auch verhindern können, dass allzu viele Menschen auf das reinfallen, was AfD oder auch FPÖ meinen, wenn sie »Heimat bewahren« plakatieren. Den Zorn auf den Missbrauch von »Heimat« teile ich jedoch. Das kann ich nur wiederholen.
Peter Porsch (74) ist gebürtiger Wiener. Der Germanist war Professor an der Universität Leipzig und PDS- bzw. LINKE-Politiker in Sachsen.
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