- Politik
- Repression in Indonesien
Kritische Schriften im Visier der Militärs
In Indonesien werden vor den Wahlen vermehrt Razzien gegen Buchläden durchgeführt
In mehreren indonesischen Provinzen kam es in den vergangenen Monaten zu Razzien in Buchgeschäften, deren vermeintlich »linkes« Buchangebot von Militärs konfisziert wurde. Die bis dato letzten dieser Razzien ereigneten sich in den vergangenen zwei Wochen in Padang (Westsumatra), Tarakan (Kalimantan) sowie in Kediri (Ostjava). Dort beschlagnahmten Soldaten, Polizisten und Staatsanwälte mehrere Titel. Sie begründeten diesen Schritt damit, dass das Verbreiten kommunistischer Ideologie nach einem Erlass von 1966 verboten sei.
Der umstrittene Erlass stammt aus der Anfangszeit der Suharto-Diktatur. Dessen bis 1998 dauernde Herrschaft hatte sich seinerzeit auf einem - von westlichen Geheimdiensten unterstützten - Blutbad mit Hunderttausenden Opfern und dem vollständigen Verbot der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) und aller ihr nahestehenden Organisationen begründet. Vor ihrer Zerschlagung 1965/66 war die PKI nach der kommunistischen Partei Chinas und der Sowjetunion die drittstärkste der Welt gewesen. Indonesiens erster Präsident Sukarno, Mitbegründer der Blockfreienbewegung, war zwar kein Kommunist, aber weit genug links, dass er aus westlicher Sicht abgelöst werden musste - durch Suharto.
Der auch von Deutschland hofierte General Suharto galt seiner eigenen Geschichtsdoktrin zufolge als »Retter« vor der »roten Gefahr«. Diese Doktrin wurde mit Filmen, Büchern und Monumenten jahrzehntelang in die Köpfe der indonesischen Bevölkerung gepflanzt. Die Taten von Suhartos Schergen: Massenmord, Folter, Vergewaltigungen, Verbannung in Arbeitslager und die fortgesetzte Stigmatisierung der Opfer und ihrer Angehörigen blieben dabei unerwähnt oder wurden als gerechte Strafe derer dargestellt, die Indonesien bedroht hätten. In einer andauernden Entmenschlichungskampagne wurden so die Opfer zu Tätern gemacht.
Die Gewalt von 1965 unter Führung des Militärs ist von staatlicher Seite nicht aufgearbeitet. Mehr Medienfreiheit nach dem Ende der Suharto-Diktatur und das emsige Bemühen zivilgesellschaftlicher Akteure hat in den vergangenen Jahren jedoch für zahlreiche Publikationen, Filme, Musik- und Theaterstücke gesorgt, in denen der Opfer gedacht und versucht wird, alternative Geschichtsversionen anzubieten. Es gründeten sich progressive Buchverlage, die ausländische herrschaftskritische Bücher übersetzen sowie eine Plattform für indonesische Autor*innen bieten.
Unter den nun konfiszierten Büchern finden sich die Reden des ersten indonesischen Präsidenten Sukarno, wissenschaftliche Abhandlungen über Marxismus und Sukarnos Vorstellung eines indonesischen Sozialismus, die er Marhaenismus nannte. Außerdem Werke über den Massenmord und die Verfolgung von Linken 1965. Aber auch andere herrschaftskritische Bücher sind betroffen, zum Beispiel über den oppositionellen Dichter Wiji Thukul, den 1998 wahrscheinlich das Militär verschwinden ließ und dessen gesammelte Gedichte gerade erstmals auf Deutsch erschienen sind.
Immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu gewaltsamen Übergriffen auf zivilgesellschaftliche Organisationen und auch zu polizeilichen Verboten von kritischen, als »kommunistisch« gebrandmarkten Veranstaltungen. Im Kampf gegen die »neue rote Gefahr«, die »komunis gaya baru« (»die neuen Kommunisten«), arbeiten staatliche Sicherheitskräfte und Vertreter islamistischer Organisationen oft Hand in Hand. Juristische Maßnahmen gegen ihre Übergriffe gibt es kaum.
Wahrscheinlich geht es bei den Razzien um Einschüchterung mit dem Ziel von künftiger Selbstzensur, so sehen es viele Beobachter*innen in Indonesien. Versuche dieser Art treffen nicht nur Publizist*innen.
Auch kritische Aktivist*innen werden in Indonesien schnell mit dem »Kommunismus«-Stempel belegt. So wurde vor einem Jahr der Umweltaktivist Heri Budiawan, der gegen eine Goldmine protestiert hatte, zu einer mehrmonatigen Haftstrafe wegen des angeblichen Verbreitens kommunistischer Lehren verurteilt. Die Mine hat einflussreiche Besitzer. Sie gehört unter anderem dem Multimillionär Sandiaga Uno, der demnächst Vizepräsident werden will. Im April stehen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an. In Amtsinhaber Joko Widodo hatten viele Menschenrechtler*innen große Hoffnungen gesetzt. Doch Jokowi, wie er im Volksmund genannt wird, hat in der eigenen Partei und im Parlament keine starke Basis. Sein Kabinett ist der Ausdruck politischer Kompromisse. Inzwischen zählen mehrere Ex-Generäle mit zweifelhafter Menschenrechtsbilanz zu seinem Führungskreis.
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