15.000 Euro für Friedensbanner

Zwei Frankfurter Aktivisten erhalten Strafbefehl nach Protesten gegen Rheinmetall

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Ausgerechnet am 8. Mai 2018, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, hält der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall im Berliner Maritim-Hotel seine Jahreshauptversammlung ab. Die Rüstungsschmiede steht zum damaligen Zeitpunkt stark in der Kritik: Im türkischen Angriffskrieg gegen die nordsyrische selbstverwaltete Region Afrin wie auch beim saudi-arabischen Kriegseinsatz in Jemen wurden massiv Rüstungsgüter aus deutscher Produktion eingesetzt. Dutzende Politiker und Aktivisten haben sich vor dem Hotel zum Protest versammelt. Eine Gruppe versucht, am Eingang ein Transparent zu entrollen. Die Aufschrift: »8. Mai 1945 - damals wie heute - Krieg beginnt hier, lasst ihn uns hier beenden«. Der Name »Rheinmetall« ist mit einem Kreuz überklebt, das Banner in Gelb, Rot und Grün, den Farben der kurdischen Befreiungsbewegung, gehalten.

Dann geht es ganz schnell. Noch bevor die Aktivisten das Banner komplett entrollen können, stürmen Polizisten auf sie zu. Zehn Personen werden nach Angaben der Initiative »Rheinmetall entwaffnen« kurzzeitig festgesetzt. Während die Beamten von den meisten nur die Personalien aufnehmen, werden zwei der Aktivisten zu einem Gefangenentransporter gebracht. Polizisten teilen ihnen mit, dass man ihnen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorwirft. Die Kriegsgegner rechnen in der Folgezeit eigentlich damit, dass die Verfahren eingestellt werden, doch Ende Dezember kommt die Überraschung: Die zwei Aktivisten aus Frankfurt am Main erhalten Strafbefehle. Der eine soll 5000 Euro zahlen, der andere 10.000 Euro.

Einer der Betroffenen, Christoph Brandt von der lokalen Ortsgruppe von »Rheinmetall entwaffnen«, hält die Strafen für absurd. »Wir haben lediglich das Transparent nicht losgelassen«, sagte der Kriegsgegner gegenüber »nd«. Daraus würden nun die Behörden Bewegungen konstruieren, die als Angriffe hätten gewertet werden können. »In ihren Vorwürfen benutzt die Staatsanwaltschaft viele Konjunktive«, so der Aktivist.

Über die Motivation für die verhältnismäßig sehr hohe Strafe kann Brandt nur spekulieren. Möglich sei für ihn einerseits, dass die Behörden besonders hart gegen Kriegsgegner vorgehen könnten, da es ein »strategisches Interesse« gebe, die Rüstungsindustrie zu schützen. Schon der Friedensaktivist Hermann Theisen aus Celle hatte im November 2018 eine überraschend hohe Geldstrafe von 1800 Euro für das Verteilen von Flugblättern erhalten. Mit den Zetteln sollten Mitarbeiter von Rheinmetall zum Whistleblowing von Berufsgeheimnissen ermuntert werden. Das Urteil wurde von Theisen nicht akzeptiert.

Die andere Erklärung könnte laut Brandt mit der Verschärfung des »Widerstandsparagrafen« durch die Große Koalition zusammenhängen. Im Mai 2017 war eine neue Regelung in Kraft getreten, die Einsatzkräfte stärker vor gewalttätigen Übergriffen schützen sollte. Im Grundrechtereport 2018 warnte jedoch der Jurist Peer Stolle vor Missbrauch. Das erweiterte Sonderrecht für Polizisten stärke demnach deren Definitionsmacht und beinhalte für Bürger ein erhebliches Drohpotenzial. »Das Zulaufen auf eine Polizeikette, das Zerren an einem Transparent, das von Polizisten entfernt werden soll - über solchen Ausdrucksformen einer mündigen Zivilgesellschaft schwebt nun, da in der Regel gemeinschaftlich begangen, das Damoklesschwert einer mindestens sechsmonatigen Freiheitsstrafe«, so Stolle.

Christoph Brandt von »Rheinmetall entwaffnen« und sein Mitstreiter wollen sich jedoch nicht einschüchtern lassen. »Wir akzeptieren den Strafbefehl nicht und gehen vor Gericht«, sagte der Aktivist. »Dort können wir die tödliche Praxis der Waffenexporte öffentlich machen und Rheinmetall selbst auf die Anklagebank setzen.« Voraussichtlich wird es im Frühjahr 2019 zu der Gerichtsverhandlung in Berlin kommen.

Die Initiative »Rheinmetall entwaffnen« kündigte anlässlich der Strafbefehle weitere Proteste gegen Rheinmetall und andere Waffenschmieden an. »Polizei und Justiz stellen sich mit der Kriminalisierung von antimilitaristischen Aktionen auf die Seite der Profiteure von Krieg, Vertreibung und Flucht«, heißt es in einer Mitteilung. Nach nd-Informationen sind dieses Jahr unter anderem Proteste gegen die kommende Aktionärshauptversammlung von Rheinmetall am 28. Mai in Berlin geplant, wie auch Blockaden bei den Produktionsstätten des Konzerns. Sollten zudem die Exportbeschränkungen der Regierung wieder aufgehoben werden, dann wolle man zu einem »TAG X« aufrufen, um Transporte von Rüstungsgütern zu verhindern.

Die politische Debatte um eine mögliche Klage von Rheinmetall gegen die Bundesregierung gewinnt derweil an Fahrt. »Rheinmetall will für Waffenexportverbote entschädigt werden - Wie irre ist das denn?«, sagte etwa der LINKE-Abgeordnete Victor Perli am Sonntag. Der Politiker verwies darauf, dass alle 14 Minuten auf der Welt ein Kind durch deutsche Waffen stirbt. »Entschädigt die Opfer der Angehörigen und nicht die, die an Krieg und Waffen verdienen«, forderte Perli. Die Grünen-Abgeordnete Katja Keul sagte: »Wenn nun Rheinmetall offenbar mit Schadensersatzforderungen droht, macht dies deutlich, dass sich die Bundesregierung nicht länger mit unverbindlichen Bitten an die Rüstungsindustrie aus der Verantwortung stehlen kann.«

Nach »Spiegel«-Informationen hatte der Rüstungskonzern Rheinmetall in einem Brief an das Wirtschaftsministerium angekündigt, die Regierung im Fall einer Fortsetzung des Embargos gegen Saudi-Arabien wegen der Umsatzausfälle zu verklagen. Nach Überzeugung des Düsseldorfer Unternehmens bestehe ein Schadenersatzanspruch, weil die Regierung bereits genehmigte Exporte aus politischen Gründen aufhalte, heißt es in dem Bericht.

Das Bundeswirtschaftsministerium wollte den Bericht am Sonntag nicht kommentieren. Zu Einzelentscheidungen könne aus rechtlichen Gründen keine Stellung genommen werden. Auch von Rheinmetall war zunächst keine Stellungnahme zu bekommen.

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