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- Tag des verfolgten Anwalts
Polizei zu Anwältin: Bewaffne dich doch
Die Türkei verfolgt unbequeme Juristen systematisch. Auch in Deutschland erleben sie Angriffe
Die unabhängige und freie Arbeit von Rechtsanwälten ist ein essenzieller Bestandteil von rechtsstaatlichen Demokratien. Unbequeme Juristen geraten schnell ins Visier staatlicher Verfolgungsbehörden, etwa wenn sie Regierungskritiker verteidigen oder in ihren Plädoyers politische und soziale Missstände zur Sprache bringen.
Aus diesem Grund rief die Vereinigung Europäischer Demokratischer Anwälte 2010 auf Initiative des niederländischen Anwalts Hans Gaasbeek den 24. Januar als »Tag des verfolgten Anwalts« aus, an dem sich die europäische Anwaltschaft mit verfolgten Kollegen in anderen Ländern solidarisiert. Dabei wird jedes Jahr ein Land ausgesucht, in dem die Situation für Anwälte besonders dramatisch ist. Dieses Jahr fiel die Wahl wie bereits 2012 auf die Türkei, wo die Situation für Menschenrechtsverteidiger schon seit Jahrzehnten kritisch ist. Allerdings haben die Einschränkungen der anwaltlichen Berufsfreiheit und die Verfolgungsintensität seit dem Putschversuch im Juli 2016 nochmals erheblich zugenommen. Ende 2017 waren dort laut UN-Menschenrechtskommissariat 570 Anwälte inhaftiert, weitere 1480 mit verschiedenen Strafverfolgungsmaßnahmen konfrontiert und 79 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Zudem nutzte die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan den nach dem gescheiterten Putsch verhängten Ausnahmezustand, um juristische Berufsvereinigungen verbieten zu lassen - so die Progressive Anwaltsvereinigung und die Anwaltsvereinigung für die Freiheit.
Doch auch in Honduras, China, Iran oder auf den Philippinen, die in den Vorjahren bereits alle im Fokus des »Tages des verfolgten Anwalts« standen, hat sich die Situation bisher nicht zum Besseren gewendet. Dabei geht die Verfolgung zwar nicht immer direkt von staatlichen Stellen aus. Allerdings sind viele Regierungen bereit, bei Aggressionen Dritter ein Auge zuzudrücken - etwa wenn das organisierte Verbrechen in Lateinamerika Anwälte bedroht oder angreift, die sich für die Rechte indigener Bevölkerungen oder den Naturschutz einsetzen.
Dass auch in Deutschland Gefahren für die freie Advokatur bestehen, zeigte eindrücklich der Fall der Frankfurter Anwältin und Nebenklagevertreterin im NSU-Prozess, Seda Başay-Yıldız, die im Dezember und Januar Drohfaxe erhielt, die mit »NSU 2.0« unterzeichnet waren und den vollen Namen ihrer zweijährigen Tochter sowie die genaue Wohnadresse der Familie enthielten. Die Daten der Juristin waren an einem Computer der Frankfurter Polizei abgefragt worden. Im Zuge der weiteren Nachforschungen deckten die Ermittler eine rechtsextreme Gruppe innerhalb des dortigen Polizeiapparats auf. Zwar wurden fünf Beamte vom Dienst suspendiert, doch die für den Schutz von Başay-Yıldız ergriffenen Maßnahmen wurden von vielen Seiten als unzureichend kritisiert. So boten Beamte der 42-Jährigen an, ihr einen Waffenschein zum Selbstschutz zu besorgen. »Ich soll mich bewaffnen? In Deutschland? Nur, um meiner Arbeit als Anwältin nachzugehen?«, zeigte sich Başay-Yıldız in der »Süddeutschen Zeitung« fassungslos.
Es sind nicht nur Bedrohungen im Einzelfall, die hierzulande Anlass zur Sorge bieten. »Hinzu kommt, dass unsere anwaltliche Arbeit in letzter Zeit durch Gesetzesverschärfungen erschwert wird, etwa wenn die Kontaktrechte unserer Mandanten oder unser Akteneinsichtsrecht in bestimmten politischen Verfahren eingeschränkt werden«, sagt Ursula Groos vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV). Man könne da zwar noch nicht von »Verfolgung« sprechen. »Aber es ist ein Anfang, da wir nicht mehr ungehindert unsere Arbeit machen können«, meint Groos. Für die Berliner Anwältin hat die deutsche Anwaltschaft angesichts dieser Entwicklungen bisher viel zu kleinlaut agiert. »Schon bei einem Blick in die Zeitung muss doch jedem klar werden, dass unsere Spielräume kleiner werden und gewisse Rechte unserer Mandanten verschwinden - sei es im Asylbereich, sei es durch die neuen Polizeigesetze.« Ein anderes Beispiel dafür sei, dass der RAV während der G20-Proteste 2017 in Hamburg als Organisation angegriffen wurde. »Das müssen wir wahrnehmen, dürfen es aber auf keinen Fall hinnehmen.«
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