Bahnfusion auf dem Abstellgleis

EU-Wettbewerbshüter untersagen Zusammenschluss - zum Ärger der Regierungen

Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire ist sauer auf die EU-Kommission: Das Veto gegen die Fusion der französischen Alstom mit der Eisenbahnsparte des deutschen Mischkonzerns Siemens schwäche Europa und diene »den wirtschaftlichen und industriellen Interessen Chinas«. Er sprach am Mittwoch von überholten Wettbewerbsregeln, die »neu geschrieben werden müssen«.

Zuvor hatte die Europäische Kommission wie erwartet den angestrebten Zusammenschluss untersagt. Die beiden Unternehmen seien »nicht bereit gewesen, unsere erheblichen wettbewerbsrechtlichen Bedenken auszuräumen«, sagte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zur Begründung. Die Behörde befürchtet dadurch höhere Preise bei Signaltechnik für Eisen- und U-Bahnen sowie den nächsten Generationen von Hochgeschwindigkeitszügen. Alstom stellt den TGV für die französische Staatsbahn SNCF und Siemens den ICE für die Deutsche Bahn her.

Die beiden europäischen Marktführer hatten im September 2017 ihre Pläne bekanntgegeben, ein Gemeinschaftsunternehmen namens »Siemens Alstom« mit rund 62 000 Mitarbeitern in mehr als 60 Ländern und 15,3 Milliarden Euro Jahresumsatz zu gründen. Der Siemens-Konzern sollte an dem »Airbus der Schiene« etwas mehr als die Hälfte der Anteile halten. Obwohl die Konzernzentrale im Großraum Paris angesiedelt werden sollte, gab es viel Kritik in Frankreich: Gewerkschaften befürchteten, dass vor allem Alstom vom absehbaren Stellenabbau betroffen sein werde. Rechte wie linke Opposition kritisierten, dass die Fusion auf die Übernahme durch einen ausländischen Konzern hinauslaufe. Als Alternative wurde vorgeschlagen, der Staat solle, wie schon einmal im Jahr 2016, der angeschlagenen Alstom unter die Arme greifen - diesmal mittels Großaufträgen der SNCF. In Deutschland, wo Industriepolitik bislang kaum eine Rolle spielt, gab es praktisch keine Diskussionen.

Alstom und Siemens hielten trotz der Kontroverse in Frankreich unbeirrt an ihren Plänen fest. Früh zeichnete sich indes ab, dass die EU-Wettbewerbsbehörden nach ausführlicher Prüfung Bedenken anmelden würden. So verlangte Brüssel weitreichende Veräußerungen bei der Signaltechnik sowie langjährige Lizenzierungen von Technik für Hochgeschwindigkeitszüge. Vor wenigen Tagen legten die Unternehmen neue Zugeständnisse vor, die die Wettbewerbshüter aber nicht überzeugten.

Wirkungslos blieb auch der ungewöhnlich massive politische Druck seitens der französischen wie auch der deutschen Regierung. Siemens-Chef Joe Kaeser wurde gar ausfällig und sprach im Zusammenhang mit den Wettbewerbshütern von »rückwärtsgerichteten Technokraten«. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker fühlte sich vor wenigen Tagen genötigt, daran zu erinnern, dass die EU-Wettbewerbshüter in 30 Jahren mehr als 6000 Zusammenschlüsse genehmigt und »weniger als 30« untersagt hätten. Am Mittwoch kam aber noch ein weiteres Verbot hinzu: des Verkaufs von Geschäftsteilen des Hamburger Kupferkonzerns Aurubis an die Wieland-Werke in Ulm.

Die Konzernführungen von Siemens und Alstom hatten ihre Pläne damit begründet, dass es nur noch ein großes europäisches Gemeinschaftsunternehmen mit der globalen Konkurrenz wie dem chinesischen Konzern CRRC und dem relativ kleinen kanadischen Hersteller Bombardier aufnehmen könne. Vor allem CRRC dränge gerade massiv auf den europäischen Markt. Für Kommissarin Vestager ein vorgeschobenes Argument: »Wir sehen nicht, dass die Chinesen im Anmarsch wären.«

Letztlich dreht sich der Streit aber um Grundsätzliches. Während Konzerne auf dem Weltmarkt agieren, sorgt sich die EU-Kommission um den Wettbewerb auf dem europäischen Markt. Da dieser Konflikt nicht lösbar ist, möchte die Politik jetzt eingreifen. Frankreichs Wirtschaftsminister Le Maire kündigte an, zusammen mit seinem deutschen Kollegen Peter Altmaier Vorschläge zur Änderung des Wettbewerbsrechts zu erarbeiten, um die Schaffung noch größerer europäischer Champions zu ermöglichen. Der CDU-Politiker schlägt in seiner gerade vorgestellten »Industriestrategie 2030« in eine ähnliche Kerbe.

Für die Pläne im Bahntechnikbereich kommt dies auf den Fall zu spät: »Die Fusion wird nicht fortgesetzt«, erklärte Alstom am Mittwoch.

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