»Meine Privilegien nutze ich politisch«

Lisa Madsack kommt aus einem der besseren Viertel Berlins, wohnt günstig und abgesichert. Politik macht sie vor allem für die, denen es nicht so gut geht wie ihr.

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 6 Min.

Sie sind eine von sechs Landessprecher*innen bei linksjugend ’solid.

Genau. Es gibt drei nicht-männliche und drei männliche. Also eine Liste ist ausschließlich für Frauen*, das heißt alle nicht von Geburt an männlichen Personen. Und die andere Liste ist gemischt. Im Regelfall sind es dann aber meistens drei männliche Personen, weil unser Verband doch leider sehr männlich dominiert ist.

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Warum gibt es eine Quote?

Wir wollen damit versuchen, dass auch Frauen* sich aktiv in die politische Arbeit einbringen, und eine Quote kann dabei Hürden beseitigen. In Berlin funktioniert das bislang relativ gut. Es ist noch nicht ideal, aber auf einem guten Weg.

Die sechs Sprecher*innen präsentieren sich auf der Internetseite nur mit ihren Vornamen.

Vor allem, weil es weniger förmlich wirkt.

Ist das nicht unpraktisch für die Außenwirkung? Man kennt zum Beispiel Annika Klose von den Jusos, aber die Landessprecher*innen von ’solid sind kaum bekannt. Warum?

Vielleicht ist die Bezeichnung »Sprecher*innen« etwas irreführend. Unsere Aufgabe ist nicht die Repräsentation nach außen, sondern eher eine koordinierende Funktion innerhalb des Verbands. Die Außenwirkung soll im Namen des Verbandes und nicht von Einzelpersonen erzielt werden und wird dies meist auch. Wenn jemand dennoch Fragen an uns als Landessprecher*innen direkt hat, finden sich auf der Homepage unsere E-Mail-Adressen.

Was war der Grund für Sie, sich politisch zu engagieren?

Angefangen hat es mit einer guten Politiklehrerin in der Schule. Sie war sehr anspruchsvoll und hat mir persönlich viel an inhaltlicher Vertiefung ermöglicht. Mein konkreter Politisierungsmoment war dann ein Referat in der 11. Klasse über Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit.

Warum hat Sie das so nachhaltig beeinflusst?

Wahrscheinlich, weil ich aufgrund eigener Überlegungen zu dem Fazit gelangt bin, dass vieles, was in der Welt so passiert, einfach nicht in Ordnung ist und auch mit den aktuellen wirtschaftspolitischen Ansätzen nicht besser werden kann. Das war ein Aha-Erlebnis, das mich dazu veranlasst hat, mich verstärkt mit linken Positionen und alternativen Ideen zu beschäftigen. Daraufhin bin ich relativ schnell auf linksjugend ’solid gestoßen und seitdem dabei geblieben, was auf jeden Fall eine gute Entscheidung war.

Sie sind in Berlin aufgewachsen?

Ja genau. Ich komme aus Steglitz-Zehlendorf, aus dem Südwesten Berlins. Von da war das immer noch eine Strecke von eineinviertel Stunden zum Plenum in Friedrichshain.

Warum haben Sie sich nichts in der Nähe gesucht?

Weil es in meinem Bezirk damals noch nichts für mich Passendes gab, das ist heute anders. Außerdem mochte ich die Basisgruppe Friedrichshain am allerliebsten, und inzwischen wohne ich selbst im Stadtzentrum.

Das ist bestimmt nicht billig.

Ich kriege von vielen Menschen um mich herum mit, wie fürchterlich die Wohnungssituation in Berlin ist. Aber die Eltern einer Freundin von mir haben vor Jahren eine damals günstige Wohnung im Bergmann-Kiez gekauft. So wohne ich zu einem vernünftigen Preis schön im Altbau und muss mir keine Gedanken machen. Aber das ist wirklich nicht der Normalfall (lacht).

Stimmt, das ist tatsächlich ganz schön privilegiert.

Bei uns wohnen immer mal wieder Bekannte, die eine Wohnung suchen, und was man da so zu hören bekommt, ist haarsträubend. Zuletzt hat eine Freundin einige Zeit bei uns gewohnt, weil sie nichts Geeignetes gefunden hat. Sie ist am Ende in die Sonnenallee in Neukölln gezogen. Dort bezahlt sie für ihr 18-Quadratmeter-Zimmer 500 Euro im Monat. Also wenn man das nötige Geld hat, findet man in Berlin natürlich relativ leicht eine Wohnung, aber Menschen, die es wesentlich nötiger hätten, bleiben oft auf der Strecke.

Sind das auch Themen, mit denen Sie sich politisch beschäftigen?

Im letzten Jahr haben wir in der Basisgruppe sehr viel zum Thema Stadtpolitik gearbeitet. Das ist ein sehr anschauliches Thema, das für viele Menschen, die noch nicht so lange politisch aktiv sind, einen guten Zugang bietet. Dazu haben wir auch einige Aktionen gemacht, zum Beispiel Transparente aufgehängt, ein symbolisches Haus gebaut und mit Passanten über ihre Wohnsituation gesprochen. Bei einer anderen Aktion sind wir mit einem Beamer durch die Stadt gefahren und haben Mietpreise an die Häuserwände projiziert und mit dem Durchschnittseinkommen des jeweiligen Bezirks verglichen. Da kamen absurde Ergebnisse heraus.

Sie studieren Französische Literatur und Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Wie ist da die Stimmung unter den Studierenden?

Grundsätzlich kann man sagen, dass die Studierendenschaft am Otto-Suhr-Institut immer noch sehr links eingestellt ist, was auch sehr angenehm ist (lacht). Aber da gibt es natürlich auch Kämpfe. Zum Beispiel soll Politische Ideengeschichte vom Pflichtlehrplan gestrichen werden. Ganz anders sieht das am Romanistikinstitut aus. Da werden teilweise noch komplett kolonialismusunkritische Perspektiven auf die französische Geschichte gelehrt.

Wie wird das von den Studierenden aufgenommen?

Was ich schockierend finde, ist, dass viele Kommiliton*innen desinteressiert bis abweisend reagieren, wenn man in einem Seminar eine kritische Position bezieht. Ich ernte dann manchmal genervte Seitenblicke. Da sitzen auch sehr viele angehende Lehrer*innen drin. Mir graust ehrlich gesagt davor, Menschen mit dieser Attitüde in den Schuldienst gehen zu sehen.

Wie wirkt sich Ihr politisches Engagement auf das Studium aus? Haben Sie überhaupt noch Zeit zu studieren?

Ja, durchaus. Bisher bin ich mit dem Studium trotz meines politischen Engagements klargekommen und gehe nebenbei auch noch weiteren Interessen nach. Aber mir ist auch bewusst, dass ich, wenn ich die Zeit, die ich für Politik aufwende, in mein Studium investieren würde, wahrscheinlich deutlich bessere Ergebnisse hätte. Aber das ist in Ordnung, bei ’solid lerne ich dafür andere sinnvolle Dinge. Es ist schon manchmal schwierig, alles unter einen Hut zu bringen, aber der Einsatz lohnt sich!

Wie viel Freizeit wenden Sie für Ihr politisches Engagement auf?

Es ist über die Jahre immer mehr geworden. Am Anfang war das eine Nebenbeschäftigung. Man geht einmal die Woche zum Plenum und behandelt das eher wie einen Freizeitspaß. Ich habe irgendwann für mich entschieden, meine Energie und die Privilegien durch mein Elternhaus zu nutzen und in meine politische Arbeit zu stecken, und das war dann der Grund für mich, in den Landessprecher*innenrat zu gehen und aktiv an der Gestaltung dieses Verbandes mitzuwirken. Momentan habe ich durchschnittlich drei Termine in der Woche. Demnächst steht wieder ein Pfingstcamp des Verbandes an, das muss organisiert werden. Außerdem bin ich noch im Frauen*streik-Bündnis aktiv. Wir organisieren für den 8. März, Frauentag, einen bundesweiten Frauen*streik.

Was war Ihr letztes persönliches Erfolgserlebnis?

Ein Erlebnis herauszupicken fällt mir jetzt etwas schwer. Es handelt sich weniger um ein persönliches Erfolgserlebnis, aber beeindruckt haben mich letzten Herbst die Proteste im Hambacher Forst. Und es tut gut zu wissen, dass ’solid aktiv in die Vorbereitungen involviert war. Die vor einigen Jahren noch viel kleinere Klimabewegung ist massiv gewachsen, und zu merken, wie groß das Mobilisierungspotenzial sein kann, ist ermutigend. Und mehr als notwendig.

Und was hat Sie privat zuletzt überrascht?

Ich habe vor ein paar Tagen im Berliner Fenster gelesen, dass Wissenschaftler*innen planen, eine Keramikfabrik auf dem Mars zu bauen. Da dachte ich: Huch, die Menschheit hat wirklich nichts Besseres zu tun, als sich darüber Gedanken zu machen, Toilettenschüsseln auf dem Mars zu brennen?

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