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- Paragraf 219a
Was an den Stadtstaaten und Thüringen feministisch ist
An diesem Freitag berät der Bundesrat über den Gesetzentwurf zu Paragraf 219a
Nach einem Anlass für große Kontroversen klingt er nicht, der 65. Punkt auf der Tagesordnung der Bundesratssitzung am Freitag. Über den »Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch« wird allerdings schon gestritten seit das Bundeskabinett die Änderung des Paragrafen 219a einstimmig als Kompromissvorschlag gebilligt hat.
Bislang ist es Praxen und Krankenhäusern durch eben diesen Paragrafen verboten, »Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft« zu machen - worunter auch fällt, auf den eigenen Internetseiten als eine der angebotenen medizinischen Leistungen Abtreibungen aufzuführen. Der nun dem Bundesrat vorliegende Kompromiss besteht darin, dass Schwangerschaftabbrüche nunmehr öffentlich erwähnt werden können. Welche Methoden angewendet werden, darf jedoch nicht thematisiert werden, stattdessen soll auf Listen »neutraler Stellen« wie der Bundesärztekammer verwiesen werden. Ein wenig wirkt das allerdings so, als halte man Frauen für derart beeinflussbar, dass sie allein schon durch das Durchlesen der Schilderung einer Abbruchsmethode spontan Lust auf eine Abtreibung bekommen könnten - zumal die Ärzte und Kliniken anderer medizinischer Fachrichtungen ihren Patienten sehr wohl detailliert und öffentlich erklären dürfen, wie Behandlungen bei ihnen ablaufen.
Der Bundesverband der Frauenärzte kritisierte, dass es »nicht nachvollziehbar« sei, warum Ärzten und Kliniken die sachliche Information über »die unterschiedlichen Methoden zur Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs« verboten bleibe. Grüne, Linke und FDP kritisierten den Kompromiss ebenfalls und forderten, die Abstimmung im Bundestag freizugeben.
Dass der Paragraf 219a sogar das Zeug hat, eine Koalitionskrise auszulösen, ist nicht überraschend: Bereits im Dezember 2017 hatten die SPD-(mit)regierten Bundesländer Berlin, Brandenburg, Hamburg, Thüringen und Bremen einen Gesetzesantrag in den Bundesrat eingebracht, der die vollständige Aufhebung des Paragrafen 219a vorsieht. Abgestimmt werden soll diesen Freitag allerdings nur über den Kompromissvorschlag, auf den die Regierung sich Anfang Februar geeinigt hat.
Der Ausschuss für Frauen und Jugend sowie der Gesundheitsausschuss des Bundesrats erklärte in seiner Empfehlung jedoch, es sei »vorzugswürdig«, 219a ganz zu streichen. Eine zentrale Liste ermögliche nicht nur den betroffenen Frauen, sondern auch Abtreibungsgegnern einen Überblick über alle Praxen und Kliniken, die Abbrüche anböten, manche Ärzte und Ärztinnen würden es allein deswegen wohl vorziehen, nicht dort genannt zu werden, so dass die Vollständigkeit der Liste nicht gewährleistet werden könne. Außerdem sei die Beibehaltung des Paragrafen 219a auch in veränderter Form nicht notwendig, um »vor werbenden Maßnahmen zu schützen«; dafür gebe es die Berufsordnung und das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Der Rechtsausschuss empfahl dagegen die Annahme des Kompromiss-Vorschlags.
Die Stellungnahme, die der Bundesrat am Freitag abgeben wird, wird auch am 18. Februar eine Rolle spielen, wenn der Rechtsausschuss des Bundestagstags über den Kompromissvorschlag berät. Als Sachverständige wird dort unter anderem die Frauenärztin Nora Szász angehört werden. Sie hält den Gesetzesentwurf für »eine Mogelpackung« und kritisierte den darin vorgesehenen Punkt fünf in einem Interview mit dem Deutschlandfunk als »Lebensschützer pur«. Fünf Millionen Euro sollen Gesundheitsminister Spahn für eine Studie zur Verfügung gestellt werden, in der die »seelischen Auswirkungen« von Abbrüchen auf Frauen erforscht werden - radikale Lebensschützer beklagen immer wieder diese angeblichen Auswirkungen, für die es allerdings keine wissenschaftlichen Belege gibt. Die SPD-Abgeordnete Hilde Mattheis erklärte letzte Woche ebenfalls, damit werde Geld »für eine wissenschaftlich unsinnige und ideologisch motivierte Studie vergeudet«, Sie kündigte an, bei der Bundestagsabstimmung, die voraussichtlich am 2. oder 3. März stattfinden wird, gegen den Kompromiss zu votieren.
Zahlreiche Studien aus dem Ausland beschäftigten sich übrigens mit den nicht nur psychischen Folgen ungewollter, nicht abgebrochener Schwangerschaften: Die betroffenen Frauen müssen häufiger Sozialhilfe beanspruchen, ihre ungewollten Kinder haben ein höheres Risiko, später an psychischen Problemen zu leiden. Außerdem werden die Frauen laut einer Untersuchung des Global Doctors of Choice Networks aus dem Jahre 2011 während und nach der aufgezwungenen Schwangerschaft häufiger depressiv - bei Frauen, die abtrieben, gab es dagegen keine erhöhte Neigung zu Depressionen.
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