Geschichten von der Straße erzählen

Nelli Tügel leitet das Politikressort. Am liebsten würde sie beim »nd« Einheitslohn einführen

  • Lou Zucker
  • Lesedauer: 3 Min.
Geschichten von der Straße erzählen

Wie es dazu kam, dass Nelli Tügel Leiterin des Politikressorts wurde, das weiß sie bis heute nicht so genau. »Mein Vorgänger, Markus Drescher, war kein sehr gesprächiger Mensch«, erzählt die kleine Frau mit den fokussierten dunkelbraunen Augen. »Das erste richtige Gespräch, das ich mit ihm hatte, war, als er mir und meinem Kollegen Aert van Riel erzählte, dass er uns als seine Stellvertreter*innen will.« Sie lacht, sodass man all ihre weißen Zähne sieht, und ihr Blick wird warm und einladend.

Seit Drescher vergangenen Sommer in Elternzeit gegangen ist, leitet Tügel zusammen mit van Riel das größte Ressort des »nd«. Ihre erste Amtshandlung: eine Redakteurin für Feminismus einzustellen. »Das macht sich bemerkbar, dass sich jetzt jemand explizit für dieses Thema verantwortlich fühlt«, sagt sie.

Bevor sie 2017 als EU-Redakteurin beim »nd« anfing, hatte die 35-Jährige noch nie in einer Redaktion gearbeitet, nicht einmal für ein Praktikum. Mit zwei kleinen Kindern hatte sie Geschichte und Skandinavistik studiert, nebenbei jobbte sie unter anderem bei IKEA und als Streetworkerin. Sie promovierte gerade zu Streiks der 70er und 80er Jahre, als 2015 an der Berliner Charité ein Arbeitskampf entstand. Tügel begann, darüber freiberuflich für »neues deutschland« zu berichten, und stellte fest: »Das journalistische Schreiben ist viel näher dran am Menschen und nicht so verquast wie das akademische.«

Zwei Jahre später wurde sie eingestellt. »Am ersten Tag war ich sehr aufgeregt. Ich habe meine damalige Chefin gefragt, wann ich Pause machen darf. Die wusste gar nicht, wovon ich rede«, lacht Tügel, wenn sie daran zurückdenkt.

Was sie gerne im »nd« verändern würde? »Wir haben niemanden, der sich mit migrantischen Communitys auskennt und für das Thema zuständig ist.« Generell ist die Redaktion wenig vielfältig, von etwa 60 Mitarbeitenden hat nur eine Handvoll einen Migrationshintergrund. Eine davon ist Tügel selbst. Ihr Vater wurde als Kommunist in der Türkei verfolgt, Ende der 70er Jahre ging er zum Studieren nach Köln, dann in die DDR. Nelli Tügel wuchs in der Platte in Berlin-Hellersdorf auf. Was sie nervt: »Wenn Leute mich immer fragen, warum ich Skandinavistik und nicht Turkologie studiert habe. So ein Quatsch!« Ihr schönster Arbeitstag war, als das »nd« auf ihre Initiative hin zum Erdogan-Besuch auf Seite 1 titelte: »Du bist nicht willkommen!« - und zwar auf Kurdisch.

Tügels große Leidenschaft ist das Ressortleiten eigentlich nicht. Am liebsten schreibt sie »Geschichten von der Straße«. Trotzdem hat sie noch viele Ideen, was alles anders laufen könnte: »Wenn ich beim ›nd‹ radikal etwas verändern könnte, würde ich eine Kollektivzeitung mit weniger Hierarchien und Einheitslohn daraus machen.«

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