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Kriegseinsatz mit psychischen Folgen
Studie analysiert das Selbstbild von Bundeswehrsoldaten nach dem Einsatz in Afghanistan
Am Montag haben die USA ihre Friedensgespräche mit den Taliban in Doha fortgesetzt. Ob sie im Interesse der Menschen zu einem von allen Seiten annehmbaren Frieden führen, bleibt zweifelhaft - zumindest die Regierung in Kabul lehnt die Verhandlungen ab. Dabei sollten die Waffen dringend niedergelegt werden. Allein im vergangenen Jahr wurden mindestens 3800 Zivilisten in Afghanistan getötet. Das ist ein neuer Höchststand. Die meisten Menschen kamen bei Terroranschlägen, verübt von den Taliban und Gruppen des Islamischen Staates ums Leben. Verletzt wurden annähernd 7200 Zivilisten.
So steht es im jährlichen Bericht, der von der UN-Mission in Afghanistan und dem UN-Hochkommissariat vorgelegt wurde. Fast ein Viertel der Getöteten waren Kinder. Mit 900 liegt ihre Zahl ebenfalls so hoch wie nie in diesem Krieg. Mindestens 65 Selbstmordanschläge gab es 2018, die meisten davon in der Hauptstadt Kabul. Damit seien die Taliban und die IS-Miliz für mehr als 2200 Todesfälle verantwortlich, so die UN-Experten.
Auch die von US- und afghanischen Streitkräften geflogenen Luftangriffe forderten unschuldige Opfer. Zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen seien auf diese Weise im vergangenen Jahr mehr als 500 Zivilisten getötet worden, kritisiert die UNO.
Seit Beginn der UN-Zählung vor zehn Jahren wurden in Afghanistan mindestens 32 000 Zivilisten getötet und rund 60 000 verletzt. Die Zahlen der UN gelten als konservativ, weil die Organisation für jeden registrierten Fall mindestens drei unabhängige Quellen benötigt.
Der Krieg bleibt auch nicht folgenlos für die Soldaten, die unter der NATO-Flagge kämpfen. Nicht wenige werden von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) gequält.
2015 registrierte der Sanitätsdienst der Bundeswehr 235 PTBS-Erkrankungen, 2016 waren es 175. Im Jahr 2017 kamen - trotz abnehmender Anzahl in den Einsatz geschickter Soldatinnen und Soldaten - 170 und im vergangenen 182 Neuerkrankungen hinzu. Ein Forscherteam des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) hat Soldaten, die in Afghanistan gedient haben, über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren untersucht. Es handelt sich um Angehörige des 22. an den Hindukusch entsandten Kontingents, das in einer höchst angespannten Kampfphase stand. Sie erlebten Tod und Verwundung von Kameraden.
Nun liegen die Ergebnisse der ersten sozialwissenschaftlichen Langzeitbefragung vor. Auf über 300 Seiten zeigt sich ein höchst differenziertes Bild des Einsatzes und der Lebensrealität von Soldaten und Veteranen. Der überwiegende Teil der Rückkehrer habe die Erfahrungen in Afghanistan »positiv in das Selbstbild integriert«. Viele behaupten, »an dem Einsatz gewachsen zu sein, fühlen sich gelassener, psychisch belastbarer und wissen das Leben in Deutschland jetzt mehr zu schätzen«, heißt es in einer Zusammenfassung der Studienresultate.
Obwohl aus der Perspektive der meisten Soldaten die Integration in das familiäre und berufliche Leben nach der Rückkehr gut gelungen ist, fällt es ihnen auch noch drei Jahre später schwer, außerhalb des Kameradenkreises über ihre Erfahrungen zu sprechen. Nahezu jeder Zehnte berichtet von anhaltenden körperlichen oder seelischen Verletzungen und von Fremdheitsgefühlen im Alltag. Auch sieht sich nur jeder zehnte Soldat dieses Kontingents durch die deutsche Politik und Bevölkerung ausreichend anerkannt. Dennoch, so die Bundeswehrstudie, würde eine Mehrzahl von ihnen erneut freiwillig in den Einsatz gehen.
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