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Verbannt ins Nachtprogramm
Eine Studie wirft den öffentlich-rechtlichen Sendern eine Geringschätzung von Dokumentarfilmen vor
Stell dir vor, du gewinnst einen Oscar und versteckst den Film anschließend auf einem späten Sendeplatz. So stiefmütterlich behandelt die ARD ihre Dokumentarfilme seit Jahren. Vor vier Jahren etwa gewann in Los Angeles die Doku »Citizenfour«, ein Porträt über den Whistleblower Edward Snowden, das unter Beteiligung von NDR und BR entstand, eine der begehrten Auszeichnungen in der Kategorie »Dokumentarfilm«. Statt zur besten Sendezeit zeigte das Erste diesen Film jedoch erst um 23 Uhr. Ähnlich verhält es sich mit dem Film »Of Fathers and Sons - Kinder des Kalifats«, der ebenfalls mit mehreren Nominierungen und Auszeichnungen bedacht wurde und an dessen Entstehung der rbb mitwirkte, was jedoch in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen wird. »Lernt von Netflix, dann klappt es auch mit den Erfolgen«, fordert daher der renommierte Dokumentarfilmregisseur Arne Birkenstock.
Längst sind die Zeiten vorbei, in denen sich die ARD den regelmäßigen Dokumentarfilmsendeplatz am Montag um 21 Uhr leistete, wie Programmdirektor Volker Herres einst formulierte. Ihre Schätze verstecken die Verantwortlichen heute in den Nachtprogrammen. »More than Honey - Bitterer Honig«, der schon früh auf das Bienensterben aufmerksam machte und Hunderttausende in der Schweiz und Deutschland ins Kino lockte, verschwand 2014 ebenso auf einem unattraktiven Sendeplatz wie der mit dem Prix Europa als bester Europäischer Dokumentarfilm ausgezeichnete »Im Schatten der Netzwelt - The Cleaners« im Vorjahr.
2165 Stunden dokumentarischer Neuproduktionen haben ARD und ZDF 2017 in allen Programmen ausgestrahlt. Sie füllten damit aber nur drei bzw. zwei Prozent der Sendezeit ihrer Hauptprogramme. Das Gros wurde in den Dritten Programmen, Arte, 3sat oder ZDFinfo erstmals gesendet. Zu diesem Schluss kommt die Studie »Deutschland - Doku-Land. Über Entwicklungen im dokumentarischen Fernsehen« von Fritz Wolf. Er hat über ein halbes Jahr die dokumentarischen Angebote aller Sender gecheckt.
Die attraktiven Sendeplätze in der Primetime sind meist verbrauchernahen Themen oder populären Genres wie der Tierdokuserie »Unsere Erde« vorbehalten, die traumhafte Quoten hatte. Der klassische Dokumentarfilm gerät zunehmend ins Abseits und auch der Begriff des dokumentarischen Erzählens wird von den Sendern verwischt. Der Trend geht zu formatierten Dokumentationen und Reportagen zwischen 30 und 45 Minuten, die in enge dramaturgische Konzepte gepresst werden. Über 85 Prozent der Reportagen und Dokumentationen folgen den engen Korsetts der Sendeplätze. Dieser Trend führt zu einem Verlust an individuellen Handschriften der Regisseure und Regisseurinnen.
Im Gegensatz zu Wolf beziehen die Verantwortlichen in den Chefetagen des Ersten auch Dokudramen wie die »Die Aldi-Brüder« oder »Der Auf-Schneider«, in denen der fiktionale Anteil dominiert, in die Dokumentarfilm-Statistik mit ein und bessern sie so auf. Um ihre Kritiker zu beruhigen, verweisen die Sender vor allem auf die Mediatheken. Überprüfbare Zahlen zu den Abrufen sind allerdings nicht verfügbar. Die Dokumentarfilme sind dort meist für sieben oder 30 Tage eingestellt. Danach müssen sie entfernt werden, weil die Rechte an Archivmaterial wie bei der Dokumentation »Kuhlenkampfs Schuhe« zu teuer sind. Oder, weil die Sender nicht bereit sind, den Urhebern entsprechende Honorare zu zahlen. Regisseure und Regisseurinnen sind nicht bereit, sie unentgeltlich über den gesetzlich festgelegten Rahmen hinaus den Sendern zu überlassen, denn sie müssen vom Verkauf der Rechte leben und neue Projekte anschieben.
Die Studie »Deutschland - Doku-Land« kann auf www.grimme-preis.de als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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