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Theresa May spielt weiter auf Zeit

Britisches Unterhaus lehnt Corbyns Antrag auf weichen Brexit ab. Jetzt bleibt Labour die zweite Volksabstimmung

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Theresa May beharrt auf ihrem Mantra: Ich hole weitere Konzessionen aus Brüssel, damit Großbritannien nicht auf unbestimmte Zeit an den »irischen Backstop« gebunden bleibt - eine Art Versicherungspolice, die zwar den Frieden an der seit 1998 offenen nordirischen Grenze garantiert, aber den Rechten in ihrer Fraktion ein Dorn im Auge ist. Am Mittwoch behauptete May, sie stehe kurz davor, Zugeständnisse aus Brüssel zu erhalten.

Nur zeigen bislang weder EU-Unterhändler Michel Barnier noch die Regierungen der EU-27 Anzeichen, ihr mit May mühsam zusammengeschnürtes Austrittspaket wieder aufzumachen. Aus ihrer Sicht verständlich, aber May verschließt vor dieser Realität die Augen. Diese Untätigkeit wollten drei prominente Kabinettsmitglieder nicht mehr dulden. Arbeitsministerin Amber Rudd, Industrieminister Greg Clark und Justizminister David Gauke warnten in einem Zeitungsartikel vor einem »No-Deal-Austritt«, drei Staatssekretäre drohten mit Rücktritten und Ja-Stimmen bei einer interfraktionellen Vorlage, die den ungeordneten Austritt ein für alle Mal ausschließen sollte.

Als Meisterin des taktischen Rückzugs knickte May offenbar ein - und bot einen neuen Fahrplan an: Lasst mich bis zum 11. März mit Brüssel weiter verhandeln, am 12. wird dann im Parlament über das Ergebnis abgestimmt, wie von mir vorgesehen. Neu war jedoch: Wenn ihr gegen meinen Antrag stimmt - wie im Januar mit überwältigender Mehrheit geschehen - gibt’s gleich am nächsten Tag eine weitere Unterhausabstimmung über den ungeordneten Brexit, der wohl keine Mehrheit finden würde und endgültig vom Tisch wäre. Dann könnte direkt über den Plan B abgestimmt werden, die Partner um einen vorläufigen Aufschub des Austritts zu bitten. Und dieser neue Fahrplan wurde von den Parlamentariern am Mittwochabend akzeptiert. Wie sich die EU-Partner dazu stellen, weiß May natürlich nicht.

Vorher war jedoch der von der Labouropposition um Jeremy Corbyn vorgelegte Plan eines Austritts mit Verbleib in der Zollunion und sonstiger enger Bindung an die EU vom Unterhaus abgeschmettert worden. Damit bleibt dem bisher widerwilligen Labour-Chef als letzte Waffe nur die Forderung nach einer zweiten Volksabstimmung mit der Empfehlung des Verbleibs in der EU unter den heutigen Bedingungen. Ob bei einem solchen »People’s Vote« auf dem Stimmzettel Mays schlechter Deal oder gar der chaotische No Deal als Alternative bleibt: die Chancen eines Ja zum weiteren EU-Verbleib stehen mit 58-prozentiger Zustimmung laut der neuesten Umfrage dazu nicht schlecht.

Wenn nur die Mehrheit der Abgeordneten sich zu dieser Alternative durchringen könnte, was bislang noch nicht der Fall ist. Brexit-Fanatiker unter den Tories wollen den schon sicher geglaubten Sieg nicht durch einen Appell ans Volk aufs Spiel setzen. Aber auch eine Minderheit der Labour-Fraktion aus Wahlkreisen, die 2016 mit »Leave« (EU verlassen) gestimmt hatten, wie Gareth Snell in Stoke oder Caroline Flint in Rother Valley, fürchtet um ihre Wiederwahl, wenn sie sich für ein »People’s Vote« entscheiden. Beide Abgeordnete bleiben im Herzen Remainers, also Befürworter eines Verbleibes in der EU, sehen sich aber als Vollstrecker des Volkswillens von 2016. Auch andere Labour-Parlamentarier wären im Augenblick bereit, lieber für Mays Deal als für ein neues Referendum einzutreten.

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