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Ehrenamt allein reicht nicht mehr
Spitzensportreform und Dopingtests haben ihren Preis: Die Verbände erhöhen ihre Beiträge. Das sorgt für Streit.
Die Nachricht kurz vor Weihnachten war ein Schock für den Deutschen Schwimmverband. Die allseits geachtete DSV-Präsidentin Gabi Dörries trat völlig überraschend zurück. Und der Grund dafür wirkte lächerlich. Alle Schwimmer zahlen in ihren Vereinen Mitgliedsbeiträge. Davon wird ein Teil an die Landesverbände weitergeleitet und davon noch mal ein kleinerer Teil an den DSV. Wie klein? Das Stück vom Kuchen, das beim Dachverband ankommt liegt bei 80 Cent - im Jahr! Dörries war seit 2016 im Amt, hatte versprochen den finanziell und sportlich kränkelnden Verband zu professionalisieren. Dies sollte unter anderem durch eine Erhöhung dieses Beitrags um 60 Cent geschehen. Immerhin war der zuvor mehr als 30 Jahre lang nicht angetastet worden. Dennoch stellten sich einige Landesverbände quer, befürchteten, die gestiegenen Forderungen nicht bei den Mitgliedern eintreiben zu können. Daraufhin trat Dörries zurück. Wegen 60 Cent, die sich vermutlich jeder Schwimmer im Land noch leisten kann.
Die groteske Geschichte klang in den Ohren von Beobachtern der deutschen Verbandsszene nicht einmal neu. Knapp ein halbes Jahr zuvor hatte auch der Präsident des Deutschen Volleyball-Verbands (DVV), Thomas Krohne, seinen Stuhl geräumt. Auch er war recht beliebt. Sportlich lief es sogar glänzend mit jeweils einem Beach-Olympiasieg 2012 und 2016. Doch Krohne wollte den Verband weiter modernisieren und die digitale Plattform »Volleyballpassion« einrichten, auf der sich jedes Mitglied für knapp einen Euro hätte registrieren sollen. Auch hier sperrten sich Landesverbände und beklagten den Zahlungszwang und eine schlechte Kommunikation. Dabei zahlt auch jeder Volleyballer im Schnitt nur 2,36 Euro jährlich an den DVV.
Sie gehören damit zu jenen Sportlern in Deutschland, die eher wenig an ihren Dachverband abgeben, wie eine nd-Umfrage unter allen olympischen Sportverbänden ergeben hat. Ganz vorn liegt der Deutsche Curling-Verband, bei dem jährlich 42 Euro anfallen. Allerdings ist der DCV mit nur 738 Mitgliedern auch der kleinste von allen. Daher müssen die wenigen Athleten viel schultern. Zum Vergleich: Die meisten Mitglieder (7,1 Millionen) hat der Deutsche Fußball-Bund. Umgekehrt ist der DFB in der Beitragstabelle auf dem letzten Platz, denn dank der hohen Werbe-, Fernseh- und Sponsoreneinnahmen im Profibereich kann er es sich leisten, alle gezahlten Mitgliedsbeiträge bei den Amateurvereinen und Landesverbänden zu belassen.
Der Pro-Kopf-Vergleich hat also seine Tücken, vor allem wenn man die deutsche Liebe zur Bürokratie und zum Föderalismus bedenkt. 35 Verbände beteiligten sich an der nd-Umfrage, und ihre Antworten zeigen, dass es fast ebenso viele unterschiedliche Beitragssysteme gibt. Manche wie der Deutsche Alpenverein, der kommendes Jahr erstmals Sportkletterer zu Olympia schicken will, ziehen das Geld direkt von allen Sportlern ein. Bei vielen anderen müssen die Landesverbände an den Dachverband zahlen und dann schauen, wie sie das Geld von den Vereinen und Sportlern wieder reinholen. Und wenn dieses Geld nicht reicht, müssen die aktiven Athleten noch zusätzlich Spielerpässe, Kontrollmarken oder Lizenzen erwerben.
Seit 1992 haben sich die allgemeinen Lebenshaltungskosten in Deutschland um knapp 60 Prozent erhöht. Dennoch wurden die Beiträge etwa in der Leichtathletik oder im Schwimmen nie angehoben - den Ehrenamtlern sei Dank. Viele Trainer und Funktionäre bis hinauf in die Verbandspräsidien arbeiten seit jeher für lächerlich geringe Aufwandsentschädigungen und Ehrenamtspauschalen. Die Tendenz, dass der Grundbeitrag selbst dafür nicht mehr ausreicht, hat sich eindeutig verstärkt. Und das liegt nicht nur an der Inflation.
Mittlerweile scheint vielerorts die Schmerzgrenze erreicht oder bereits überschritten zu sein. Auch die Schwimmer haben in den vergangenen Jahren eine Wettkampflizenz eingeführt, als ein erster Versuch gescheitert war, die Beiträge generell zu erhöhen. »Doch jetzt tragen die aktiven Schwimmer eine höhere Last als andere. Und das entspricht nicht mehr dem Solidaritätsprinzip«, zeigt sich DSV-Vizepräsident Wolfgang Hein im Gespräch mit dem »nd« immer noch etwas verstimmt darüber, dass die Grundbeitragserhöhung blockiert worden ist.
In insgesamt 20 Verbänden gab es in den vergangenen sechs Jahren Erhöhungen der Beiträge oder wurden Zusatzgebühren eingeführt. Und diese übersteigen die Inflationsrate teils massiv. 2015 verdoppelte die Deutsche Eislauf-Union ihre Forderungen an die Verbände sogar. Im Mai 2019 kommt zusätzlich noch mal eine Lizenzgebühr von 50 Euro für die 3000 bis 5500 aktiven Eiskunstläufer hinzu. »Wir wissen noch nicht genau, wie viele es sein werden«, sagt DEU-Geschäftsführer Alexander Wetzel.
Hauptgrund für die zwingend nötige Einnahmensteigerung sei die Spitzensportreform. Die Politik und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) fordern für mehr Fördergeld professionellere Strukturen. In den Dachverbänden, die mehr Aufgaben an sich ziehen und die zentrale sportfachliche Steuerung übernehmen sollen, müssen nun Mitarbeiter im Hauptamt statt im Ehrenamt tätig sein. Im Nachwuchs sollen mehr Trainer mehr Talente sichten, in die Schulen gehen, um Kinder von dort in die Vereine zu lotsen. »Jetzt mussten wir die Lizenzgebühr einführen, um eine Finanzierbarkeit herzustellen«, sagt Wetzel. »Jeder Sportverband muss sich entscheiden: Entweder er macht Breitensport, fällt dann aber aus der Spitzensportförderung raus. Oder er macht Spitzensport. Aber der hat dann ein Preisschild.«
Ein weiterer Preistreiber, der einige Verbände hart trifft, ist die Antidoping-Arbeit. Seit 2017 stieg die Beteiligung des organisierten Sports an den Kontrollen der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) von einer Million Euro auf 1,5 Millionen. Hinzu kommt eine Regeländerung, nach der nun Verbände mit vielen Kontrollen einen höheren Anteil der Kosten übernehmen müssen als andere, in denen nur wenige Athleten im nationalen Testpool vertreten sind.
Großer Verlierer war hier der Deutsche Kanu-Verband (DKV), der vergangenes Jahr Aufsehen mit der Nachricht erregte, dass die Sportler nun selbst Kosten für Dopingkontrollen tragen müssten. Dies war wohl eher als PR-Stunt einzuordnen - die Ankündigung verschwand schnell wieder in der Schublade -, doch DKV-Präsident Thomas Konietzko beklagt noch immer sein Schicksal: »Ganz klar, die NADA muss ausreichend finanziert werden. Wir werden aber dafür bestraft, dass wir so viele erfolgreiche Athleten haben. Nun mussten wir aus einem Etat von 900 000 Euro plötzlich 70 000 Euro rausschneiden, die nicht einkalkuliert waren«, sagt er. Auch der DKV hatte dem DOSB-Beschluss zur neuen Dopingkontrollfinanzierung zugestimmt, »aber damals waren die Zahlen noch nicht einsehbar«, so Konietzko. Die Kosten für die Tests seinen mittlerweile von 40 000 auf mehr als 100 000 Euro gestiegen. Die Lösung heißt auch hier: Erhöhung der Mitgliedsbeiträge, allerdings erst 2020. Für dieses Jahr war die Zeit zu knapp, daher muss der Verband erst einmal Schulden machen, sagt Konietzko. Auf Rücklagen kann er nicht zurückgreifen, denn die darf ein gemeinnütziger Verein wie der DKV gar nicht anlegen.
Wenn die Kosten nicht wegen der Spitzensportreform oder wegen Dopingkontrollen steigen, dann werden ganz verschiedene Gründe für kürzlich zurückliegende oder bald geplante Erhöhungen der Beiträge und Gebühren genannt: die Stärkung der Landesverbände (Handballbund), die Digitalisierung (Alpenverein, Volleyball-Verband), ein Ausgleich für die sinkende Zahl aktiver Sportler (Ringerbund), die bessere Förderung des Breitensports (Skiverband) oder die allgemeine Inflation bei Trainingsmaßnahmen, Wettkampfgebühren und Hotelkosten (Bund Deutscher Radfahrer).
Gegenbeispiele gibt es nur wenige. So mussten Bob- und Schlittenfahrer keine Erhöhung verbuchen, vermutlich weil die Einnahmen aus Sponsoring und staatlicher Förderung hier recht üppig sind. Diese staatliche Förderung fehlt dagegen beim Deutschen Golf Verband. Auch die Spielstätten müssen hier im Gegensatz zu fast allen anderen Sportarten komplett selbst finanziert werden, weshalb die Mitgliedsbeiträge für den Dachverband von bis zu 14,50 Euro pro Spieler viel höher ausfallen als im Durchschnitt für alle verbandsgebundenen Sportler in Deutschland (2,65 Euro im Jahr).
Die Deutsche Triathlon-Union musste ihre Beiträge eigenen Angaben zufolge mehr als 20 Jahre lang nicht erhöhen, weil man in dieser Zeit immer mehr Mitglieder gewinnen konnte. Und der Deutsche Wellenreitverband (Surfen) konnte 2016 seinen Beitrag sogar von 5 auf 2 Euro reduzieren.
Die meisten anderen kommen aber um Preissteigerungen nicht herum. Der DVV hat »Volleypassion« mittlerweile doch eingeführt. Über die Finanzierung wurde am letzten Wochenende bei einem Verbandstag erneut debattiert, Beschlüsse dazu werden noch ausformuliert, heißt es. Und die Beitragserhöhung für Schwimmer ist auch noch nicht vom Tisch. »Wir werden im Sommer auf der nächsten Mitgliederversammlung wieder darüber sprechen«, kündigt DSV-Vize Wolfgang Hein an. »Die Lohnkosten sind 30 Jahre lang gestiegen. Von daher kann das auf Dauer so nicht funktionieren. Wir mussten schon viele Leistungen reduzieren. Das wollen unsere Mitglieder eigentlich nicht.«
Apropos reduzierte Leistungen: Kanupräsident Thomas Konietzko brachte gegenüber »nd« noch eine andere Maßnahme ins Gespräch: »Wir könnten auch die Dopingkontrollen bei Wettkämpfen reduzieren, um Kosten zu sparen.« Er selbst wolle das nicht, sagt er. Dennoch wäre es sicherlich ein verheerendes Signal, wenn sich der DKV irgendwann dazu gezwungen sieht.
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