Pressing, Pressing, Pressing

Das ist Fußball: Lutz Lindemann ist schon 50 Jahre im Geschäft

  • Hardy Grüne
  • Lesedauer: 4 Min.

Lutz Lindemann hat viel erlebt. Als Spieler, als Trainer, als Funktionär. Er trug 21-mal das Trikot der DDR-Nationalmannschaft, absolvierte insgesamt 205 Spiele in der DDR-Oberliga und schoss dabei 42 Tore. Er erreichte mit dem FC Carl Zeiss Jena das Endspiel um den Europapokal der Pokalsieger und arbeitete nach seiner aktiven Laufbahn als Manager und Sportlicher Direktor an verschiedenen Stationen.

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Lutz Lindemann/Frank Willmann: Optimist aus Leidenschaft.
Aufbau, 282 S, geb., 20 €.

Zugleich ist Lutz Lindemann ein Kind seiner Zeit, ein Mann mit Ostbiografie, der sich nach der Wende neu orientieren musste. »Ich war kein Held der Revolution, das gebe ich offen zu«, sagt er in seiner gerade im Aufbau-Verlag erschienenen Biografie, die vom Fußballexperten und FC-Carl-Zeiss-Anhänger Frank Willmann verfasst wurde.

Lindemann begann als Straßenbolzer in Halberstadt. Während sein Bruder im Ort bei Lok spielte, trat er 1958 Aufbau/Empor bei und schaffte es früh in die DDR-Jugendauswahl. 1962 nach Magdeburg delegiert, kam er dort über eine Rolle als Ergänzungsspieler nicht hinaus und arrangierte einen Wechsel nach Eisenhüttenstadt, der nicht genehmigt wurde. Damit nahm Lindemanns Karriere die erste von vielen turbulenten Wendungen. Er wurde gesperrt, kam zum Wachregiment »Felix Dzierzynski«, zog sich eine schwere Meniskusverletzung zu und gab den Leistungsfußball auf.

Es schien, als habe der als aufmüpfig und provokant geltende Thüringer seine Karriere verzockt, bevor sie begonnen hatte. Doch der Mittelfeldspieler erhielt eine zweite Chance und kam schließlich im März 1971 beim FC Rot-Weiß Erfurt doch noch in der Oberliga an. Fünf Jahre später holte ihn der legendäre Paul Dehn nach Jena, wo er mit 27 Jahren in der DDR-Nationalmannschaft debütierte. Es folgten die besten Jahre seiner Spielerkarriere, gekrönt vom Europapokalfinale 1981 gegen Dynamo Tiflis in Düsseldorf.

Lutz Lindemann war ein Querkopf, einer, der trotzig seine eigenen Wege ging und sich nicht gut unterzuordnen wusste. »Typen wie ich waren im Kollektivsport der DDR nicht angesagt«, sagt er über sich selbst, während Ex-DDR-Auswahltrainer Georg Buschner ihn als »schlampigen Charakter« bezeichnete.

Mit feinem Gespür zeichnet Biograf Willmann diesen Weg nach und beleuchtet geschickt die Hintergründe und Widersprüche, vor denen sich Lindemanns Laufbahn abspielt: die von Leistungsdruck geprägten Bedingungen, die zynische Trainergarde der DDR (»Trainer waren Schleifer, Anbrüller und harte Hunde«), die Rückständigkeit des DDR-Fußballs (»Oberligafußball war Pressing, Pressing, Pressing«) und nicht zuletzt den politischen Druck - Lindemann war dabei, als Gerd Weber, Peter Kotte und Matthias Müller 1981 kurz vor dem Abflug nach Südamerika von der Stasi festgenommen wurden. Insofern ist dieses Buch auch eine Geschichte der DDR in ihren letzten beiden Jahrzehnten, mit einigen lustigen Winkelzügen, viel klebriger Tristesse und schließlich den Konsequenzen der Wende, die Lindemann als eine Art Manager beim FC Carl Zeiss Jena erlebt.

Nach der Wende versucht sich Lindemann mit mäßigem Erfolg als Versicherungsmakler und kehrt schließlich zum Fußball zurück. Er feiert in Aue große Erfolge, wird Präsident seines Herzensklubs FC Carl Zeiss Jena und arbeitet als Sportdirektor in Kosovo. Dieser zweite Teil seiner Biografie erlaubt tiefe Einblicke in die absurde Welt des Fußballs. Geld, Macht, persönliche Intrigen, Entlassungen, Scheitern - das ist Lindemanns Alltag. Denn er ist nicht in der Glitzerwelt unterwegs, wo die Geldscheine nur so fliegen und die Berater alles regeln, sondern im Untergeschoss, wo das Geld immer knapp ist, wo man sich von einem Harakiri-Abenteuer zum nächsten hangelt. Lindemann baut eine Modelleisenbahnfabrik in der Ukraine auf, fährt mit einem kaputten Auto zu einem kaputten Klub (Sportfreunde Siegen) und landet schließlich in Kosovo, wo man von der Champions League träumt. Es sind ernüchternde Ausschnitte aus der Welt des real existierenden Fußballkapitalismus, über die Lindemann selbst sagt: »Meine Lebensgeschichte ist manchmal nichts für schwache Nerven.«

Doch der Thüringer ist tatsächlich ein »Optimist aus Leidenschaft«, dem es immer wieder gelingt, neue Türen zu öffnen. Einer, der auf über 50 Jahre im Fußball zurückblickt. Lindemann und Willmann legen eine Biografie unserer Zeit vor, entlang der Bruchstelle Ost/West. Und genau das macht das Buch so lesenswert.

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