Kinder des Kolonialismus

»Kongo Blues« ist ein spannender Roman über die verdrängte belgische Geschichte Kongos

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Die in ihrer Brutalität beispiellose koloniale Vergangenheit Belgiens ist gut dokumentiert. Über die jüngere Geschichte der belgischen Kolonialverwaltung kurz vor der Unabhängigkeit Kongos 1960 weiß man dagegen weniger. Jonathan Robijn spürt ihr nach, in seinem Roman »Kongo Blues«.

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Jonathan Robijn: Kongo Blues. Kriminalroman.
A. d. Fläm. v. Jan-Frederik Bandel. Edition Nautilus, 176 S., br., 18 €.

Im Zentrum der Erzählung steht der schwarze Jazzpianist Morgan, der im Brüssel der späten 1980er Jahre in den Tag hineinlebt und sich von einem Musik-Engagement zum nächsten hangelt. Er ist in der belgischen Hauptstadt aufgewachsen, weiß aber kaum etwas über seine Familie.

Seine leiblichen Eltern kennt er gar nicht, Kontakt zu den Adoptiveltern hat er seit Jahren nicht mehr. Eher zufällig begegnet er Simona, die zeitweise bei ihm in seiner Wohnung unterkommt. Es entsteht eine Freundschaft und fast eine Liebesbeziehung. Bald wird klar, dass Simona ein Geheimnis umgibt. Dabei geht es um viel Geld, ihre Vergangenheit in Kongo, wo sie aufgewachsen ist, und es stellt sich die Frage, ob sie Morgan wirklich so zufällig über den Weg gelaufen ist, wie es anfangs schien.

Diese Geschichte beginnt ganz unaufgeregt als eigenwillige Begegnung zweier junger Menschen in einer Großstadt. Die aus der Oberschicht kommende weiße Simona öffnet Morgan einige Türen, was ihn auch beruflich weiterbringt. Immer wieder blitzt auch so etwas wie romantische Empathie zwischen den beiden auf. Bis Simona schließlich überraschend nach Zürich reisen muss und Morgan vergeblich auf ihre Rückkehr wartet.

Der Abschied von Menschen, deren Bedeutung für das eigene Leben einem erst viel später klar wird, ist ein wiederkehrendes Motiv in diesem Roman. Robijn weiß das so in Szene zu setzen, dass die Beklemmung seiner Figuren nachvollziehbar wird. Man taucht Stück für Stück in Morgans Geschichte und schließlich in die belgische Vergangenheit in Kongo ein.

In den 1950er Jahren wurden dort mehr als 5000 Kinder in christliche Waisenhäuser gegeben, die aus Beziehungen zwischen schwarzen Frauen und weißen Belgiern hervorgegangen waren, die für das Kolonialregime oder belgische Firmen arbeiteten. 1960, als sich die Belgier aus Kongo zurückzogen, wurden diese Kinder nach Belgien ausgeflogen und in weißen Familien untergebracht. Meist wussten die Kinder, die dauerhaft von ihren Eltern getrennt wurden, nicht von ihrer eigenen Vergangenheit.

Vor diesem historischen Hintergrund entwickelt der 1970 geborene Jonathan Robijn, der einige Jahre für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet hat, seinen erinnerungspolitischen Roman. Morgan hat an seine kongolesische Mutter nur verschwommene Erinnerungen, von denen er nicht einmal weiß, ob sie eingebildet oder echt sind. Was ihn mit Simona verbindet, ergibt sich erst im Verlauf des Romans, der durch die komplizierten Lebensgeschichten seiner Hauptfiguren mäandert, dabei aber ungemein spannend bleibt. Denn auch Simonas Biografie ist trotz aller vermeintlich bürgerlichen Sicherheit gebrochen. Die Kolonialgeschichte hinterlässt überall tiefe Spuren.

Schließlich sucht Morgan nicht nur seine Adoptiveltern auf, sondern auch andere Personen, die bis 1960 in Kongo waren und mit seiner persönlichen Geschichte zu tun haben. Ganz langsam beginnt er Zusammenhänge zu erkennen und das Puzzle seiner eigenen Vergangenheit zusammenzusetzen. Wobei die historische Aufklärung nur bis zu einem bestimmten Punkt geht und vieles im Unklaren bleibt. Genauso geht es jenen mittlerweile älteren Menschen in Belgien, die dieses Schicksal teilen.

Robijns Roman macht deutlich, dass die Erinnerungs- und Geschichtspolitik vor allem herrschenden Strukturen nützt. Das lässt sich auch an der kolonialen Architektur Brüssels ablesen, durch die Morgan immer wieder spaziert und in der die Erinnerung an König Leopold II. stets präsent ist, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts den sogenannten Freistaat Kongo wie ein Privatlehen regierte.

Im gerade neu eröffneten Brüsseler Afrika-Museum, das sich nach einem fünfjährigen Umbau auf die Fahnen geschrieben hat, endlich kritisch mit der kolonialen Geschichte des Landes umzugehen, ist nichts über jene 5000 verschleppten Kinder zu sehen, wenngleich eine Ausstellung dazu geplant ist. Wann es diese geben wird, ist unklar.

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