Auch über die Reichsbürger wusste man Bescheid

Wie die Stasi die westdeutsche Neonaziszene infiltrierte, berichtet Andreas Förster

  • Helmut Müller-Enbergs
  • Lesedauer: 3 Min.

Am 10. November 1979, morgens um 1.26 Uhr, passierte es. Ein Ereignis, über das zwei Tage später das »Neue Deutschland« auf der Titelseite berichtete: Bei Meiningen hatte eine Sprengstoffexplosion gut 50 Meter der Staatsgrenze umgelegt. Als Täter geriet der Chemieingenieur Peter Naumann in Verdacht, was die Abteilung XXII des Ministeriums für Staatssicherheit allerdings erst zwei Jahre später bestätigte.

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Andreas Förster: Zielobjekt Rechts. Wie die Stasi die westdeutsche Neonaziszene unterwanderte.
Ch. Links, 264 S., br., 18 €.

Naumann war ein langjähriger NPD-Funktionär gewesen. Den entscheidenden Tipp auf ihn, so Sachbuchautor Andreas Förster, habe der Neonazi Odfried Hepp nach seiner Flucht in die DDR gegeben, wo er ab 1982 in den Unterlagen des MfS als Informeller Mitarbeiter »Friedrich« verzeichnet ist - ein Mann, den man als Rechtsterroristen ansehen sollte, war also eine der wichtigen Quellen in der DDR über diese Szene.

Um solche Anschläge wie den in Thüringen zu vermeiden, war Jahre zuvor eigens die Abteilung XXII der Staatssicherheit gegründet worden. Deren Arbeit rückt Förster nun ins Zentrum seiner Studie über das »Zielobjekt Rechts«. Für rechtsextremistische Strömungen in Europa, vor allem in der Bundesrepublik und in West-Berlin, interessierten sich die Kriminalisten der DDR seit deren Gründung 1949. Gleich, ob es sich um die rechtsextremistische Deutsche Reichspartei handelte oder um die Nationaldemokratische Partei Deutschlands. Zu Letzterer etwa wurde eine Kartei mit dem Codenamen »Cobra« angelegt. Die Namen der hier verzeichneten NPD-Mitglieder lieferte meist die eifrige Würzburger Quelle »Hans«, selbst ein NPD-Funktionär, an die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), den Auslandsnachrichtendienst der DDR. Das nachrichtendienstliche Interesse war derart immens, dass selbst ein verurteilter Kriegsverbrecher vom MfS als Quelle geführt wurde, Deckname: »Kornbrenner«. Sein Führungsoffizier war pikanterweise ein jüdischer Kommunist.

Natürlich befassten sich verschiedene Diensteinheiten des MfS mit Rechtsextremismus und Neonazismus, die Abteilung XXII hatte sich vor allem auf deren militante Seite zu konzentrieren. Sie gewann, wie Förster lesenswert darstellt, einen beachtlichen Einblick, gerade wegen ihres nennenswerten inoffiziellen Netzes. Mithilfe ihres IM »Wolfgang Papke« gab es sogar schon Zugänge zur Reichsbürgerszene in West-Berlin, auch zum späteren selbst ernannten »Reichskanzler«. Aus den Reihen der »Grauen Wölfe« konnte IM »Piero« seinem Führungsoffizier berichten, aus der vom MfS als rechtsextremistisch bewerteten Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte IM »Heiner Backhaus« und über die Republikaner IM »Meister« - sei es bei Bier und Schnitzel oder Broiler und Schnaps.

Die Reihe der Infiltrierten (nicht »Unterwanderten«, wie Förster nicht ganz sachgerecht schreibt) nimmt kaum ein Ende und führt selbst den deutschen Antizionisten und Holocaustleugner schlechthin, nämlich Josef Ginsberg, an. Er war zunächst für den sowjetischen KGB, dann fürs MfS als »Graf« aktiv. Und da ist auch noch IM »Oskar«, der sich in der rechtsextremistischen Szene Österreichs auskannte. In der Summe führte die Abteilung XXII über 70 Quellen, teils Schlüsselfiguren in der rechtsextremistischen Szene, teils international gesuchte Terroristen.

Förster stellt ein bemerkenswertes Ensemble von Akteuren eines Milieus vor, das nachvollziehbar die Frage aufwirft, warum nicht ost- wie westdeutsche Akten zum Rechtsextremismus vor der Herbstrevolution 1989 gespiegelt werden, um präzise die bislang immer noch nicht von jenen ausgehende Gefahr auszuleuchten und erfolgreich zu bannen.

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