• Berlin
  • Enteignungs-Volksbegehren

SPD will Mietendeckel statt Vergesellschaftung

Parlamentsdebatte zeigt Bruchlinien in der Koalition

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Als »Ankündigung eines finanzpolitischen Erdbebens« bezeichnet Frank-Christian Hansel, Parlamentarischer Geschäftsführer der Abgeordnetenhausfraktion der AfD die Nachricht, dass die Ratingagentur Moody’s wegen des anstehenden Volksbegehrens »Deutsche Wohnen & Co enteignen« die Bonität Berlins herabstufen möchte. Es ist der Auftakt zur Aktuellen Stunde der Abgeordnetenhaussitzung am Donnerstag. Unter dem Titel »Herabstufung Berlins durch Ratingagenturen verhindern: Enteignungsphantasien sofort stoppen!«, hatte die Rechtsaußen-Partei diese beantragt.

Die Stoßrichtung ist ganz nach dem Geschmack aller drei Oppositionsparteien. »Enteignungen wären wirkungslos. Keine Miete würde sinken«, ist CDU-Fraktionschef Burkard Dregger überzeugt. Die Enteignungsdebatte sei »Gift für unseren demokratischen Rechtsstaat«, so der konservative Politiker. Die mögliche Sozialisierung der Evangelischen Hilfswerk-Siedlung nennt er als Problem, und dass auch ein Wohnungsunternehmen israelischer Eigentümer in der Liste der sozialisierungsreifen Großimmobilienbesitzer auftaucht, bringt er mit Erinnerungen an die Nazizeit in Verbindung. »Um die Mietenkrise zu lösen, brauchen wir kreative und konstruktive Lösungen«, fordert Dregger. Konkret benannt werden diese von ihm nicht.

»Wenn in einer globalisierten Welt Berlin Revolution spielt, kann das nur zum Schaden der eigenen Stadt sein«, erklärt FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja. »Werden sie diejenigen sein, die den Berlinern sagen: Zoo und Tierpark werden geschlossen?«, malt er schon das Bild des finanziellen Untergangs der Stadt an die Wand, falls es zu Vergesellschaftungen kommen sollte. In Bezug auf die Deutsche Wohnen sagt er: »Wenn Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht werden, dann müssen wir darüber sprechen.«

»Sie scheinen einen guten Draht zur Deutsche Wohnen zu haben«, entgegnet Katrin Schmidberger, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion und erinnert daran, dass die FDP sich im West-Berlin der 1980er Jahre selbst für Enteignungen ausgesprochen hatte. Sie macht deutlich, dass sie Anhängerin des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen & Co enteignen« ist. Die Grünen hatten sich bisher in der Frage eher bedeckt gehalten. »Viele Wege führen nach Wien«, sagt sie und verweist darauf, dass dort über die Hälfte der Wohnungen in der Hand von Genossenschaften oder der Stadt sind. Das Volksbegehren nennt sie »einen weiteren Baustein« hin zu diesem Ziel. Schmidberger schränkt auch ein. Es gebe »unterschiedliche Formen der Vergesellschaftung«. Würde die Deutsche Wohnen einen stadtweiten Vertrag unterzeichnen, der leistbare Mieten zusichere, »müsste es nicht mal so weit kommen«. Einen möglichen Mietendeckel auf Landesebene begrüßt sie. »Ich warne davor, beide Ansätze gegeneinander auszuspielen«, so Schmidberger.

Damit reagiert sie auf die Rede des SPD-Fraktionsgeschäftsführers Torsten Schneider. Er preist den Mietendeckel als »milderes Mittel« im vergleich zur Sozialisierung. Außerdem koste dieser das Land Berlin gar nichts. »Für uns ist der Mietendeckel kein marginaler Bestandteil«, sagt er in Richtung der Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE).

»Die Deutsche Wohnen rennt ihrer eigenen Bewertung hinterher und muss systematisch die Mieten erhöhen«, beschreibt Harald Wolf von der Linksfraktion die Situation. Und macht darauf aufmerksam, dass Moody’s dem Konzern trotz »absurd hohem Buchwert und hoher Verschuldung« eine hervorragende Bonität bescheinigt. »Die gleichen Ratingagenturen, die sich jetzt Sorgen um Berlin machen, haben allen toxischen Papieren vor der Finanzkrise Top-Bewertungen gegeben«, erinnert Wolf. »Das Grundgesetz ist geltendes Recht. Und es hat den Artikel 15. Wir sind bereit, geltendes Recht anzuwenden«, sagt der ehemalige Wirtschaftssenator in Bezug auf den Sozialisierungsparagrafen. Der Mietpreisdeckel sei »ein Thema, das die Koalition anfassen wird«, erklärt er.

Und die Bonität? »Wir sind an diesem Punkt verwundbar«, sagt Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD). Eine Abwertung »wird nicht dazu führen, dass wir höhere Zinsen zahlen müssen, aber es wird uns den Weg zu längeren Kreditlaufzeiten versperren«, so Kollatz. Zu Enteignung äußert er sich gar nicht, preist den Mietendeckel jedoch als verhältnismäßiger.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.