Ohne Insekten geht nichts

Daniela Franzisi vom NABU über die Rolle der Sechsbeiner in unserem Ökohaushalt

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Wie groß ist das Ausmaß des Insektensterbens?
Franzisi: Mehr als 40 Prozent aller weltweit vorkommenden Insektenarten sind vom Aussterben bedroht. Zu diesem erschreckenden Ergebnis kommt eine aktuelle Studie im Fachmagazin »Biological Conservation«. Ein Forscherteam aus Australien, Vietnam und China wertete 73 Studien zur Situation der Insekten aus. Wenn in Kürze fast jede zweite Insektenart ausstirbt, drohen uns katastrophale Folgen. Laut dieser Studie sind weltweit insbesondere Schmetterlinge, Mistkäfer und Hautflügler wie Bienen und Ameisen vom Rückgang betroffen.

Bei welchen Arten ist der Rückgang am größten?
Fast die Hälfte der 8000 Insektenarten, die in der Roten Liste für gefährdete Arten in Deutschland erwähnt werden, sind bedroht, viele bereits ausgestorben - bei den Wildbienen jetzt schon über die Hälfte der Arten. Daneben gelten bei uns etwa 7 Prozent der Gnitzen, 17 Prozent der Schmetterlinge oder 35 Prozent der Heuschrecken als besonders gefährdet.

Gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land?
Es klingt vielleicht paradox, aber ähnlich wie bei großen Wildtieren ist auch für Insekten die Stadt als Lebens- und Nahrungsraum attraktiver als eine ausgeräumte Landschaft von Agrarflächen. Am besten geht es beispielsweise Bienen auf innerstädtischen Brachflächen. Hier finden sie ganzjährig Nahrung und Strukturen zum Nestbau.

Wozu brauchen wir Insekten?
Insekten sind systemrelevant für die gesamte Natur. Aufgrund ihres Artenreichtums und der schieren Masse sind sie eine entscheidende Säule, die die Pflanzen- und Tierwelt auf der Erde zusammenhält. Die vielfältige Spezialisierung der Überlebenskünstler spielt eine tragende Rolle für alle Ökosysteme. Stichwort Ernährung: Insekten sind in Europa die wichtigsten Bestäuber, auch von Obst- und Gemüsepflanzen. Ohne die Bestäubungsleistung von Insekten wie Honig- oder Wildbienen würde die Erntemenge um bis zu 90 Prozent einbrechen.

Wie lässt sich das Insektensterben aufhalten?
Auf politischer Ebene müssen langfristige Veränderungen stattfinden. Agrarsubventionen setzen bislang falsche Anreize. Diese sind ineffizient und zu einem großen Teil umweltschädlich. Das Ergebnis ist eine immer stärkere Intensivierung der Landwirtschaft, die durch niedrige Lebensmittelpreise noch weiter gefördert wird. Statt Klasse wird Masse produziert - die Umwelt bleibt auf der Strecke. Um die Artenvielfalt zu retten, sind viele Maßnahmen erforderlich. Dazu gehören die naturverträgliche Bewirtschaftung von Wiesen und Äckern, ebenso wie der Erhalt von Landschaftselementen, aber auch Investitionen in Artenhilfsprojekte, der Erwerb von Grundstücken oder Bildungsangebote und Besucherlenkung. Monitoring, die Betreuung von Schutzgebieten und die Beratung von Landwirten und Waldbesitzern sind ebenfalls entscheidend für den Erfolg. Zudem muss der Einsatz von Pestiziden minimiert werden. Die anstehende Reform der EU-Agrarpolitik muss für eine grundsätzliche Neuorientierung genutzt werden.

Was kann der Einzelne in seinem Garten, auf dem Balkon tun?
Je höher die Pflanzenvielfalt im Garten, auf Balkon oder Terrasse, desto mehr Lebensraum und Nahrungsquellen finden Falter und Co. Über das Jahr hinweg sollten heimische Wildpflanzen oder naturnahe Sorten verwendet werden. Sie sehen nicht nur herrlich aus, sie dienen den Sechsbeinern auch als Futterquelle und Kinderstube. Darum kann man sie ruhig über den Winter stehen lassen. Und mit einem Insektenhotel schafft man zusätzlichen Lebensraum.

Das Gespräch führte Anke Ziebell

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -