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Bilanz als »Warnschuss«
Handwerkskammer und IHK kritisieren die Wirtschaftspolitik des Senats
Als »Warnschuss« verstehen die großen Berliner Wirtschaftsverbände die von ihnen am Donnerstag vorgestellte Halbzeitbilanz der rot-rot-grünen Koalition. Trotz des im Bundesvergleich überdurchschnittlichen Wachstums und einer stabilen Arbeitsmarktentwicklung ziehen die Mitglieder der Industrie- und Handelskammer (IHK) und der Handwerkskammer Berlin (HKB) laut internen Verbandsumfragen eine »ernüchternde Bilanz«, so die Berliner IHK-Präsidentin Beatrice Kramm.
In der Tat lesen sich die Umfrageergebnisse wie ein miserables Schulzeugnis. Investorenfreundlichkeit, Baugenehmigungsprozesse, Sanierung öffentlicher Gebäude, Verkehrspolitik und der Stand der Verwaltungsmodernisierung werden von 59 bis 75 Prozent der Befragten auf einer vierstufigen Skala mit »schlecht« beurteilt, aber lediglich von zwei bis fünf Prozent als »gut«. Verhalten positiv bewertet wurden dagegen der kontinuierliche Schuldenabbau der Stadt und Fortschritte bei der Energiewende
Gerade angesichts der guten Konjunkturdaten und der stabilen Haushaltslage seien dies »alarmierende Zahlen«, mahnte HKB-Präsident Stephan Schwarz. Es sei höchste Zeit, »dass sich diejenigen zu Wort melden, die für die sprudelnden Steuereinnahmen sorgen«, also aus der Sicht der Verbände die Unternehmen. Besonders die Verkehrspolitik liegt Schwarz schwer im Magen: »Lastenfahrräder sind ja nett, werden aber die logistischen Herausforderungen einer Millionenmetropole nicht lösen«. Man begrüße ausdrücklich die Pläne für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Fahrradinfrastruktur, »aber es fehlt ein Entwicklungsplan für den Wirtschaftsverkehr«. Auch die Diskussion über Dieselfahrverbote habe »Folgen für die Investitionsbereitschaft bei der Modernisierung der Transportflotten«.
Doch über allem schwebt bei den Wirtschaftsverbänden derzeit das blanke Entsetzen über das bevorstehende Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienunternehmen. IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder sprach von einem »verheerenden Signal, das in der ganzen Welt wahrgenommen wird« und der Stadt bereits jetzt großen Schaden zugefügt habe.
Denn wer wolle denn noch an einem Standort investieren, an dem »er sich nicht sicher sein kann, eines Tages enteignet zu werden«. Der Senat müsse sich klar zu den Grundsätzen der freien Marktwirtschaft bekennen, forderte Eder. Ohnehin sei das »eine Debatte für Blöde«, da die geforderten Enteignungen nicht nur unfinanzierbar seien, sondern auch keinen Beitrag zur Überwindung des Wohnungsmangels leisten würden.
Ähnlich äußerte sich IHK-Präsidentin Kramm , die die Bedeutung der Wirtschaft und neuer Investoren für Berlin mit Metaphern wie »Blut«, »Herz« und »Eisen« ausschmückte. Den Senat erinnerte sie an seinen selbst formulierten Anspruch: »Eine Stadt, die von Enteignung redet, ist nicht weltoffen, sondern das Gegenteil«. Man hoffe auf jene »Teile der Regierung, die sich jetzt klar positionieren«, so Kramm mit Hinweis auf entsprechende Stellungnahmen des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller und des Finanzsenators Matthias Kollatz (beide SPD). Aber auch die »vernünftigen« Senatsmitglieder seien »zu nachsichtig und solidarisch mit denen, die verantwortungslos mit dem wirtschaftlichen Potenzial unserer Stadt spielen«.
Im Vergleich zu diesen markigen Worten nehmen sich die auf Grundlage der Umfrage formulierten konkreten Erwartungen an den Senat für die zweite Halbzeit der Legislaturperiode bescheiden aus und kommen selten über Allgemeinplätze hinaus. Gefordert werden unter anderem eine bessere personelle Ausstattung der Bezirksämter, der Schulen und der Kindertagesstätten, eine umfassende Digitalisierungsstrategie, eine engere Verzahnung mit Brandenburg in der Wirtschafts- und Regionalentwicklungspolitik sowie eine Vereinfachung der Ausschreibungsverfahren bei öffentlichen Aufträgen. Und bei vielen dieser Fragen befinde man sich auch bereits in einem »konstruktiven Dialog« mit der Berliner Landespolitik, betonte Kramm. Allerdings wirft die Debatte um Enteignungen derzeit tiefe Schatten auf das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Senat.
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