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Die Reichen und Superreichen
Björn Vedder kritisiert falsche Kritik an den Monstern des Kapitalismus
Gibt es eine Verfallsgeschichte des Reichtums? Vergleicht man Fotos von Superreichen aus den Wirtschaftswunderjahren der westdeutschen Nachkriegszeit mit Porträts der Gegenwart, könnte man dies meinen. Es zeigt sich ein deutlicher Wandel in der Rolle, die Reiche auf der Bühne des öffentlichen Lebens spielen. Noch bis in die 1980er Jahre hinein wurden die Reichen und Superreichen als ästhetische Gestalten illustriert. Man blickte auf entrückte, makellose, aristokratische Menschen, denen man nachahmen wollte. Heute findet man von Schönheitsoperationen gezeichnete Gestalten in protziger Umgebung, denen man mit einer Mischung aus Abscheu, Neid, Furcht und Mitleid begegnet. Bestes Beispiel dafür sind die Fotos von Donald Trump in seinen goldenen Suiten oder die Instagram-Bilder der Unternehmerin und Schauspielerin Kim Kardashian.
Das Bild über die Reichen hat sich gewandelt, lautet die These, die Björn Vedder vertritt. Die Superreichen gelten als »unmoralisch und als Feinde der Gesellschaft, als liederlich und bösartig. Die plündern die Welt und mästen sich an fremder Arbeit«, fasst der Autor die aktuell vorherrschende Debatte über die Reichen und Mächtigen zusammen. Ihr protziges Auftreten und die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich verstärken die Diskussionen um unverschämten Luxus.
Vedder nimmt hier Anleihe bei Hegel. Dieser beschrieb bereits Menschen, deren Reichtum es ihnen erlaube, sich aus dem »Band der Not« herauszulösen, ein Band, das die überwiegende Mehrheit der Menschen miteinander verbindet, weil es sie dazu zwingt, zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse auch die Bedürfnisse der anderen und der Allgemeinheit zu beachten und zu befriedigen. Dies gehe mit einer gewissen Sittlichkeit einher. Die Ablösung davon gebiert Unsittlichkeit. Die Reichen können es sich leisten, unsittlich zu sein. Ihre »Wohlstandsverwahrlosung« führt sie zu einem Selbstbild, das auf einer Verachtung der Ärmeren basiert.
Mit den geschulten Augen des Kulturphilosophen reflektiert Vedder anhand zahlreicher Filme, TV-Serien und Bücher die Kritik an den Superreichen und entlarvt diese als halbherzig. Die gesellschaftliche Mitte, die von den gegebenen gesellschaftlichen Strukturen durchaus profitiert, kritisiert die Reichen, obwohl auch sie auf Kosten derer lebt, die ökonomisch schwächer sind, vor allem der Menschen im globalen Süden. Darum sei diese Art der Kritik an den Reichen heuchlerisch. Es gehe der Mittelschicht nicht darum, ethische Werte zu verteidigen, sondern die eigenen Pfründe zu sichern.
Vedder zeigt in seinem Essay, wie schnell die Kritik an den Reichen dazu führen kann, eine kleine gesellschaftliche Gruppe zu dämonisieren, ohne das dahinterstehende Wirtschaftssystem und die eigene Rolle darin in Frage zu stellen. »Superreiche sind das Produkt eines Systems. Eines Systems, das Geld von unten nach oben umverteilt.« Für ihn ist das Verhalten der Superreichen jedoch kein »Kennzeichen eines sittlichen Mangels«, sondern liegt in der kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung begründet.
So richtig dieser Befund, so kommt das gut lesbare und mit zahlreichen Beispielen ausgeschmückte Werk Vedders an dieser Stelle jedoch an seine Grenzen. Der Autor steigt nicht tiefer in ein in die »Geheimnisse« der Wirtschaftsweise, die auf der Erzeugung von Mehrwert und Profitmaximierung beruht. Hier wäre eine eingehende Beschäftigung mit Marx sinnvoll gewesen. Dies hätte Vedder auch bei seinen politischen Schlussfolgerungen genützt. Er zeigt richtig auf, wie fehlgeleitete Kritik an den Reichen die politische Kultur gefährden und den Populismus beflügeln kann, der nur verbal das »Establishment« angreift.
Im »Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte« von 1852 beschreibt Marx, wie es in einer Krise zu einer Verbindung zwischen den Ärmsten der Armen und der Geld-Elite kommen kann. Vedder hätte hier reichlich Material finden und über die Benennung des Problems hinaus auch mögliche Lösungen anbieten können.
Björn Vedder: Reicher Pöbel. Über die Monster des Kapitalismus. Büchner-Verlag, 160 S., br., 18 €.
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