Mitbestimmung für Sinti und Roma

Ein Beirat soll für die politische Steuerung der Belange Europas größter Minderheit sorgen

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich kann ein Buch schreiben über Diskriminierung.« Milena Ademovic kam 1998 als Bürgerkriegsflüchtling aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Berlin. »Ich habe zehn Jahre als Putzfrau gearbeitet. Was mir später als Roma-Mediatorin in Schulen, Krankenhäusern und Jugendämtern an Diskriminierung begegnet ist, dafür habe ich manchmal keine Worte.« Bei der Vorstellung des zukünftigen Sinti-und-Roma-Beirats am Dienstag im Abgeordnetenhaus schildert sie dann aber doch drei Situationen: Eine junge Frau wird ohne ihre Einwilligung von einem Berliner Frauenarzt sterilisiert. In einem Berliner Krankenhaus redet eine Krankenschwester abwertend von »den Zigeunern«, als ein Kind mit starken Unterleibsschmerzen eingeliefert wird. Als Ademovic behutsam und über Monate versucht, ein junges Mädchen aus ihrer Frühehe herauszulösen, fragt die zuständige Jugendamtsmitarbeiterin, ob dies »bei euch Roma nicht normal« sei. Mit dem Ergebnis, dass der mühevolle Prozess der Sozialarbeiterin in sich zusammenfällt.

»Drei Beispiele von tausend«, sagt Ademovic, die jetzt als Sozialberaterin für neu zugewanderte EU-Bürger*innen aus Rumänien und Bulgarien arbeitet. Seit dem 30. Januar 2019 berät sie als Mitglied der Berliner Community der Sinti und Roma den Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen des Senats. Zusammen mit Hamze Bytyci von Roma Trial soll sie mit dafür sorgen, dass der Sinti-und-Roma-Beirat zukünftig mehr politische Teilhabe von Berliner*innen mit Einwanderungsgeschichte und Romno-Hintergrund bewirkt. Der Beirat soll noch in diesem Jahr seine Arbeit aufnehmen. Er soll zugleich ein Instrument zur deutlich politischeren Steuerung des Berliner Aktionsplans zur Einbeziehung ausländischer Roma sein, der 2013 vom Senat beschlossen wurde.

Dieser sogenannte Roma-Aktionsplan wurde vor allem von Roma-Selbstorganisationen wie Amaro Foro e. V. und Amaro Drom e. V. heftig kritisiert. Er spiegele allein schon mit seiner Bezeichnung keinesfalls die Vielfalt der Community der Sinti und Roma in Berlin wieder. In der Hauptstadt leben EU-Bürger*innen ebenso wie Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien mit zum Teil 20 Jahre andauerndem prekären Aufenthalt, der sogenannten Kettenduldung. Vor allem junge, in Deutschland aufgewachsene Menschen, kehren nach ihren Abschiebungen in Balkan-Staaten häufig hierher zurück.

Statt Probleme wie bürokratische Hürden beim Zugang zu Bildung, Wohnung, sozialen Leistungen und Gesundheitsversorgung abzubauen, würden mit dem Aktionsplan negative Stereotype zu Sinti und Roma wiederholt, so die Kritik. Die massive Diskriminierung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit sei in diesem Plan überhaupt nicht erkannt und anerkannt worden.

Dazu kommt, kritisieren auch die am Prozess der Beiratsgründung Beteiligten der Berliner Landesregierung, Katina Schubert (LINKE), Susanne Kahlefeld (Grüne) und Nicola Böcker-Giannini (SPD), dass der Plan nahezu ausschließlich im Rahmen von Verwaltungshandeln des Senatsbeauftragten für Migration und Integration umgesetzt wurde. Die Entscheidungen für die Fördermittelvergabe seien nicht immer transparent gewesen, kritisiert Hamze Bytyci. Er befürchtet strukturelle Probleme auf der Verwaltungsebene.

Seit Anfang 2018 wird der Roma-Aktionsplan nun evaluiert. Die ersten Empfehlungen, die das Institut MINOR im Januar 2019 veröffentlicht hat, lesen sich wie eine Umsetzung der bereits 2013 geäußerten Kritik der Roma-Selbstorganisationen. Der Berliner Senat habe die Zusammenarbeit mit ihnen im Vorfeld des Aktionsplans verweigert, so Amaro Foro und Amaro Drom. Dies sei eine Absage an das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein, wie es Hamze Bytyci fordert.

Das soll sich nun ändern. Paritätisch sollen in dem sechsköpfigen Gremium Vertreter*innen der Sinti-und-Roma-Community sowie die zuständigen Senator*innen und Stadträt*innen aus den Bereichen Bildung, Wohnen, Gesundheit und Soziales vertreten sein. Die Hälfte von ihnen sollen Frauen sein. Ob der Beirat dann tatsächlich konkrete Ergebnisse beim Abbau von alltäglicher und institutioneller Diskriminierung erzielt, nachdem schon die Gründung ein politischer Kraftakt war, wird sich zeigen.

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