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Das lebhafte Grau

Da bekommt man Gefühle: Die Grünen sind 40.

Die Anhänger der Grünen, was sind das eigentlich für Leute? »Ich kenne Grünen-Wähler, die von Frankfurt nach Berlin fliegen, um abends um halb acht statt um halb neun zu Hause zu sein und als guter Vater die Kinder ins Bett bringen zu können. Das gilt in der Peergruppe eben nicht als barbarisch, sondern als vorbildlich und normal«, schreibt der »taz«-Redakteur Peter Unfried im neuen »Kursbuch«. Es handelt von den Grünen, die vor 40 Jahren entstanden sind. Im März 1979 gründeten ein paar Atomkraftgegner und Vertreter konservativer Gruppen die Grünen als Wählergemeinschaft für die Europawahl. Die linken Gruppen kamen erst später hinzu, nachdem die Wählergemeinschaft aus dem Stand 3,2 Prozent geholt hatte. Im Januar 1980 wurden die Grünen als bundesweite Partei gegründet.

Schauen Sie sich doch mal bei Youtube den damaligen Werbespot der Wählergemeinschaft für die Europawahl 1979 an. Eine ruhige Sache ist das, eine wahre Meditationsübung, verglichen mit den unruhigen Bildfolgen auf den Displays von heute. Es gibt nur eine einzige Einstellung der Kamera: Man sieht ein paar Kühe auf einer Wiese an einem Hang grasen, mehr nicht. Dazu Vogelgezwitscher. Eine ruhige Stimme aus dem Off sagt: »Es ist Zeit, über Alternativen nachzudenken. Wir glauben zum Beispiel, dass es ein Fortschritt sein kann, wenn diese Wiese hier eine Wiese bleibt und von einem Atomkraftwerk, einer Autobahn, einem Truppenübungsplatz oder dem Schild ›Privateigentum, Betreten verboten‹ verschont bleibt.«

Die Wiese ist sichtbar, die Katastrophe muss man sich dazu denken. So läuft das bei den Grünen schon immer. Vor langer Zeit, als die Sponti-Linken gerade frustriert aus den Fabriken heimgekehrt waren, weil sie dort, anders als erwartet, keine Proletarier zur Revolution hatten anstacheln können, erschien 1975 im Trikont Verlag die erste Ausgabe einer Zeitschrift, die »Autonomie« hieß. Ihr Untertitel verriet die ganze Enttäuschung über den Marxismus und sein Versprechen, das Industrieproletariat zu befreien: »Materialien gegen die Fabrikgesellschaft«. Im Heft forderte Thomas Schmid von den Aktivisten eine Rückbesinnung auf die eigenen, letztlich privaten Bedürfnisse. Tatsächlich horchte er dann lange genug in sich hinein, um schließlich 35 Jahre später Herausgeber von Springers »Welt« zu werden. 1975 forderte er noch den Aufbau von »Gegenrealität, Gegenstrukturen und Gegenmacht«.

Das war eine gute Parole, um sich »gegen die Fabrikgesellschaft« für den Umweltschutz einzusetzen. Zu den Demos gegen die geplanten Atomkraftwerke in Wyhl, Brokdorf, Grohnde kamen tatsächlich die Massen, von denen die kleinen linken Gruppen seit 1968 nur geträumt hatten. »Der Atomprotest war auch deshalb so erfolgreich, weil er an die Protestkultur des Gut gegen Böse anschließen konnte: Alle guten Bürger formierten sich gegen ein paar kapitalistisch-oligarchische Atomkonzerne. Keiner hatte selbst zu Hause ein Atomkraftwerk in der Garage«, schreibt Peter Unfried nun im »Kursbuch«. Mit dem Kampf gegen den Klimawandel ist das heute schwieriger: Autofahren und Flugzeugfliegen gelten als unverzichtbar, als Privatsache - wie der Reichtum, die Gentrifizierung und deren Opfer.

Der Aufbau von »Gegenstrukturen« und »Gegenmacht« wurde von den Grünen längst vergessen, übrig geblieben ist allein der Glaube an die »Gegenrealität«: Beispielsweise an die Idee, diese Partei wäre an irgendetwas mehr interessiert als an der nächstbesten Regierungsbeteiligung. Es ist fast egal mit wem, denn die Grünen verstehen »Politik als Bündnis«, wie sie es im Entwurf für ihr neues Grundsatzprogramm, das nächstes Jahr beschlossen werden soll, formuliert haben. Weniger egal ist den Grünen das Militärische, das sie künftig an ein »europäisches Hauptquartier in Brüssel« delegieren möchten: »Es soll mehr Kompetenzen und Personal erhalten, um Auslandseinsätze europäischer Einheiten zentral planen und durchführen zu können«, heißt es im Programmentwurf der Partei, deren Credo 1980 lautete, »ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei« zu sein.

Heute lautet ihr Grundsatz: »Ökologische Politik und wirtschaftliche Prosperität sind keine Gegensätze.« Sie könnten sich auch deutlicher ausdrücken, so wie Wolf Lotter im »Kursbuch« scheibt: »Ja, natürlich Kapitalismus. Was denn sonst?« Der Mitbegründer des hippen Wirtschaftsmagazins »Brand Eins« hat auch einen Grundsatz ersonnen: »Es geht nicht um Wirtschaftspolitik, es geht um Selbstbestimmungspolitik.« Wer nicht genug Geld hat, muss eben seine Arbeitskraft verkaufen, ist halt so, was soll man machen?!

Das hatten die Grünen 1980 in ihrem ersten Bundesprogramm noch kritischer gesehen: »Die Menschen in der Bundesrepublik Deutschland werden heute durch die ökologische und ökonomische Krise der Industriegesellschaft bedroht. Sie ist gekennzeichnet durch die zunehmende Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschen und andererseits durch die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.« Heute hat die Partei andere Sorgen: Das »fossile Zeitalter« soll überwunden werden, um eine »ökologische Moderne« zu schaffen, lautet das politische Ziel im Programmentwurf. Wirkt vage, doch bei den Grünen geht es hauptsächlich um die Macht der Gefühle, die klingen ehrlich und tief und man muss sie nicht beweisen. Wenn der alte Politiker Daniel Cohn-Bendit behauptet, die Grünen stünden für den »Wunsch nach rationaler Politik«, ist das ein guter Scherz, vor allem, weil er ernst gemeint ist.

So betrachtet haben die Grünen mit ihrem aktuellen Führungsduo Annalena Baerbock und Robert Habeck zwei Topleute, die weniger als Politiker, sondern als Animateure für grüne Gefühle auftreten: nichtssagend, aber locker und trotzdem mit sich ringend. Im »Kursbuch« erzählt Habeck von seinem persönlichen grünen Erweckungserlebnis. Als Tschernobyl im Frühling 1986 hochging, war er 16 und spielte im Schülertheater Shakespeares »Sommernachtstraum«: »Nach der Premiere sind lauter beseelte Pennäler in den Maiabend getreten. Da setzte ein leichter Nieselregen ein, und alle rissen in Panik die Regenschirme auf und liefen nach Hause in der Angst, dass sie den Krebstod sterben müssen. Dieser Moment mit seiner Gleichzeitigkeit von Bedrohung und Lebenshunger war prägend«.

Der permanente Angriff der Gegenrealität auf die Realos. Je weniger bei ihnen los ist, desto erfolgreicher werden die Grünen. »Wenn heute die grüne Parteiführung oder ein Unterausschussvorsitzender im Bundestag vor die Kamera tritt, (…) sehe ich ein lebhaftes Grau, wie Loriot das mal nannte«, schreibt der Musikjournalist Karl Bruckmaier im »Kursbuch«. Die Katastrophe muss man sich dazu denken.

»Das Grün«, Kursbuch Nr. 197, 192 S., 19 €

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