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Vom Gemeinwohl provoziert
Uwe Kalbe über die Enteignungsdebatte in Berlin
In Berlin geschieht Ungeheuerliches. Die helfende Hand der Linkspartei im Rücken, der ja einige so Einiges an Umsturzfantasien zutrauen, werben Bürger per Volksbegehren für die Enteignung eines in Verruf geratenen Wohnungsunternehmens. Schleicht hier eine Revolution per Unterschriftenliste heran? Schrille Reaktionen kapitalnaher Parteien und Vereine lassen dies fast glauben. Man solle Artikel 15 und damit den »Sozialismus aus dem Grundgesetz« streichen, fordert nun FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sogar. Zu erkennen ist, dass zumindest die Gegenseite des zugrunde liegenden Gesellschaftskonflikts keine Minute zögern würde, auch die letzten Register zu ziehen, um ihre Pfründe zu sichern.
Enteignung? Tagtäglich gehen Unternehmen zugrunde, ohne dass jemand zu ihrer Verteidigung ruft. Der Kannibalismus des Marktes ficht niemanden an; es ist das Motiv des Gemeinwohls, das die jetzige Enteignungsdebatte antreibt und die FDP auf die Palme bringt. Tatsächlich lässt das Grundgesetz die Frage nach der Wirtschaftsordnung in Deutschland offen. Das hat dem Kapitalismus bisher nicht geschadet. Doch Zweifel an seiner Allmacht auszumerzen, scheint der FDP die Gelegenheit günstig. Über die Gegenseite ist solche Konsequenz noch längst nicht vorherzusagen. Denn auch wenn die Bürgerinitiative von Mut wie Kreativität zeugt, weil mit der Eigentumsdebatte tatsächlich eine Systemfrage aufgerufen ist - ob die öffentliche Hand tatsächlich Lotse aus dem Wohnungs- und Mietennotstand wäre, hat sie noch nicht bewiesen. Und im Streit um die im Enteignungsfall anstehende Entschädigung lauert Glaubwürdigkeitsgefahr.
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