Verurteilt

Ingrid Millgramm muss mit 85 Jahren für vier Monate ins Gefängnis - wegen 18,73 Euro

Puder, Wimperntusche, Haarklammern und Sahnesteif hat Ingrid Millgramm vor einem Jahr in einer Kaufhalle in Bad Wörishofen geklaut. Der Gesamtwert der Waren: 18,73 Euro. Deshalb muss die 85-Jährige nun für vier Monate ins Gefängnis. Denn sie ist Wiederholungstäterin. Das Landgericht Memmingen bestätigte am Dienstag das von der Vorinstanz verhängte Strafmaß, gegen das die Beschuldigte wie auch die Staatsanwaltschaft in Berufung gegangen waren.

Dass Millgramms Name einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist, liegt an ihrer Auskunftsfreudigkeit: Im vergangenen Sommer gab sie etliche Fernsehinterviews. Vielleicht sind die Ladendiebstähle, wegen derer sie 2017 schon einmal 55 Tage in Haft verbringen und 1800 Euro Strafe zahlen musste, ihre Art, gegen ihre miese finanzielle Lage zu protestieren. Denn sie hat lange gearbeitet, auch unternehmerisch. Und doch hat sie heute nur eine Witwenrente von 725 Euro. Aktien, die der Alterssicherung dienen sollten, hatten sich als Schuss in den Ofen erwiesen.

Der Prozess offenbarte, dass die Nachbarschaft wenig Verständnis für die notorische Diebin hat. Es mangelte nicht an Belastungszeugen. Man hält Millgramm in dem Städtchen im Unterallgäu schon deshalb für unverschämt, weil sie stets elegant gekleidet und geschminkt auftritt. Was das Verfahren ebenso zeigte: Die Justiz begegnet Leuten, die zumindest subjektiv in Notwehr handeln, um ihre Vorstellungen von einem Leben in Würde zu verwirklichen, mit Härte. Ohnehin kennt das deutsche Rechtssystem kaum zivile Wiedergutmachungsleistungen jenseits gerichtlicher Sanktionen, zumindest dem Normalbürger gegenüber. Zugleich ist der Staat nicht willens, wenigstens den Älteren via Mindestrente den Gang zum Sozialamt zu ersparen. Gegen milliardenschwere Steuerhinterziehung unternimmt die Politik wiederum kaum etwas. Vielmehr hat sie für die Wirtschafts- und Geldelite zusätzlich jede Menge legaler Schlupflöcher geschaffen. Vor diesem Hintergrund mutet die Haftstrafe für die Rentnerin noch absurder an.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -