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Alleinstehende Männer besonders gefährdet

Zu viele Medikamente von verschiedenen Ärzten, und niemand hat mehr den Überblick - Polypharmazie ist besonders bei Älteren häufig

  • Sandra Trauner
  • Lesedauer: 3 Min.

Neun, zehn Pillen am Tag sind der Durchschnitt. Manchmal nehmen ältere Menschen mit mehreren Krankheiten 20 oder 30 verschiedene Medikamente täglich. Multimedikation oder Polypharmazie nennen Wissenschaftler das Problem. In Frankfurt am Main suchen Mediziner nach Wegen, um Patienten vor Gefahren eines solchen Medikamentenmix zu schützen.

Marjan van den Akker aus Maastricht nahm im März ihre Arbeit auf, sie hat eine neu geschaffene Stiftungsprofessur für Multimedikation am Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität inne. Die Aufgabe der Niederländerin: die Versorgung von Patienten mit vielen Krankheiten sicherer zu machen. Sie gibt zu, dass die komplexe Gesundheitssituation dieser Patientengruppe auch Ärzte zuweilen überfordert.

Verschiedene Studien zeigen, wie drängend das Problem ist. Die Hälfte aller über 65-Jährigen hat laut Gesundheitssurvey drei oder mehr chronische Erkrankungen. Für jede Krankheit ist ein anderer Facharzt zuständig, der verordnet, was ihm sinnvoll erscheint.

Aber keiner habe den Überblick, schreiben die Autoren der »Leitlinie Multimedikation« und nennen ein Beispiel: »Ein Kopfschmerzpatient erhält vom Hausarzt Paracetamol, vom Neurologen ein Triptan, vom Orthopäden wegen Nackenschmerzen Diclofenac, vom Apotheker Ibuprofen, von der Nachbarin, «weil alles nicht hilft», ASS. Dann kommt der Patient, der vielleicht Diabetiker ist und als Raucher Lungenprobleme hat, ins Krankenhaus und wird dort «neu eingestellt».

«Bei der Einnahme von mehr als fünf Wirkstoffen ist nicht mehr vorhersehbar, was im Organismus an Wirkungen, Interaktionen und unerwünschten Nebenwirkungen passiert», heißt es in der Leitlinie weiter.

Eine Studie der Universitätsklinik Zürich zeigt die Dimension. Die Patienten hatten im Mittel 6,6 Erkrankungen, bei der Hälfte gab es «therapeutische Konflikte» zwischen Erkrankungen und Medikation. Bei jedem Dritten waren es «gravierende, unter Umständen lebensbedrohliche» Therapiekonflikte. Vergleichbare Zahlen für Deutschland gibt es nicht.

Während es bei Ehepaaren meist besser laufe, seien ältere alleinstehende Männer besonders gefährdet, so die Gesundheitswissenschaftlerin. Sie berichtet von Studien, bei denen Patienten zu Hause oder beim Arzt alles auf den Tisch legen sollten, was sie einnehmen. «Das stimmte nur selten mit dem überein, was in den Akten stand.» Kein Wunder, findet van den Akker: «Die Menschen verlieren einfach den Überblick.»

Aber wer könnte ihn behalten? Der Hausarzt, glaubt van den Akker. Er habe den engsten Kontakt zum Patienten. Was die Professorin gern testen würde, wäre ein Modell, bei dem der Hausarzt sich zum Beispiel einmal im Jahr eine Stunde Zeit nehmen kann, um die komplette Medikamentenliste eines Patienten einzusehen und mit einem Apotheker durchzusprechen.

Dass generell zu viel verschrieben wird, glaubt van den Akker nicht, gerade Schmerzmittel würden eher zu wenig verordnet. «Je weniger, desto besser - das stimmt nicht immer», sagt sie. Aber man müsse eben «genau beobachten, was passiert». Das könnten nur Ärzte und Apotheker gemeinsam leisten. Deshalb will van den Akker sie schon im Studium zusammenbringen.

Der andere Schwerpunkt ihrer Arbeit ist, die Kompetenzen des Patienten zu stärken. «Die Patienten wissen oft gar nicht, wofür sie was nehmen», sagt die Expertin. Je weniger sie verstehen, desto weniger halten sie sich an die Verschreibung, desto mehr Probleme können entstehen. Laut Aktionsbündnis Patientensicherheit sind etwa fünf Prozent aller Krankenhauseinweisungen die Folge nicht korrekter Medikamenteneinnahme.

Die Krankenkassen begrüßen die Stiftungsprofessur als «richtigen Schritt auf dem Weg zu mehr Arzneimittelsicherheit», wie Barbara Voß, Leiterin der Techniker Krankenkasse (TK) in Hessen, sagt. Unter den TK-Versicherten nimmt jeder siebte gleichzeitig fünf und mehr Medikamente, bei den über 60-Jährigen sind es sogar fast 40 Prozent.

Die Kassen setzen große Hoffnung auf elektronische Gesundheitsakten. Technische Unterstützung «könnte hilfreich sein», findet van den Akker. Immerhin könne man damit schnell einen Überblick gewinnen. Aber die Lösung des Problems sei das nicht. Den Medikamentenmix auszutarieren sei zu komplex und zu individuell, um es einem Computerprogramm zu überlassen. dpa/nd

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