Bewegen Sie sich nicht!

Das Biopic »Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit« zeigt uns den Maler als Getriebenen und Pantheisten

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Ewigkeit, die Vincent van Gogh meinte, ist immer der erfüllte Augenblick, in dem die Zeit stillsteht. Diesem Augenblick der Verwandlung in etwas noch Ungewisses ist der Regisseur Julian Schnabel mit seinem Film »Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit« auf der Spur. Kein biografischer Bilderbogen sollte es werden, denn hier geht es um den Punkt, in dem die Zeit explodiert, so wie in van Goghs letztem Bild, dem apokalyptischen »Kornfeld mit Krähen« vom Juli 1890, das in Auvers-sur-Oise entstand.

Der Zugriff von Julian Schnabel, der selbst auch Maler ist, und seinem Kameramann Benoit Delhomme scheint anfangs radikal. Beide vereint der Wille, anhand des Malers eine Art Passionsgeschichte zu drehen, aber so, wie es Pasolini in seinem Film »Das 1. Evangelium Matthäus« tat: als rein diesseitige Geschichte einer Erlösungshoffnung, die enttäuscht werden musste.

Aus der Not, die mit schneidender Skepsis kämpft, resultiert jene Intensität des Ausdrucks, die verstört. Antonin Artaud hat dies in seinem Essay »Der Selbstmörder durch die Gesellschaft« so formuliert: »Von van Goghs Nagel aufgekratzt, zeigen die Landschaften ihr feindseliges Fleisch, die Bissigkeit der aufgeschlitzten geheimen Winkel, dass man andererseits nicht weiß, welch seltsame Kraft gerade dabei ist, sich zu verwandeln.«

Schnabel zeigt uns den Maler als einen unsteten Wanderer, einen Getriebenen, gleichzeitig auf der Flucht vor den falschen Gewissheiten und ihren konventionellen Abbildern, die immer lügen, und auf der Suche nach jenem Urbild in der Natur, das alles durchdringt. Ein Pantheist. Van Gogh erkennt Gott in den Dingen selbst, den kleinen, vor allem den offen missachteten.

Mit der Kamera stolpern

Und so gehen wir mit ihm über die Felder, blicken mit ihm auf den Boden, auf vertrocknete Sonnenblumen, hinauf in den Himmel, zu den rauschenden Blättern der Bäume. Eine schier irrsinnige Symphonie der Farben und Formen, ein Meer, in dem man ertrinken kann. Die Handkamera schwankt wie der Maler, stolpert voran.

Schnabel lässt sich Zeit bei diesen Gängen, die Exerzitien sind. Die Stimme aus dem Off: »Ich möchte einer von ihnen sein.« Es ist der Monolog eines Außenseiters, der nirgendwo dazugehört. Eine Schäferin mit ihrer Herde gerät auf einem Feldweg in den Blick des Malers: »Bewegen Sie sich nicht!« Sie bleibt ängstlich stehen. Er wolle sie doch nur zeichnen. »Warum?«, fragt die Frau verständnislos zurück.

Was soll er darauf antworten? Weil er es muss. Aber ist das zu verstehen? Die Frau entzieht sich, er bedrängt sie gewaltsam - schon ist wieder ein Unheil da, das aus seinem ungestümen, keinen Widerspruch zulassenden Wesen resultiert. Man beargwöhnt ihn als Irrsinnigen, der gefährlich sein könnte. Er kommt in die Irrenanstalt von Saint Remy. Dabei will er doch nicht mehr und nicht weniger als ein Bild malen, das kein Kompromiss mit der faulen Wirklichkeit ist.

Was der Regisseur weglässt

Schnabel erzählt nicht die Biografie van Goghs, er setzt sie voraus. Mit ihren Rudimenten spielt er ein sparsam-eindringliches Spiel. So ist dies fast so etwas wie die Fortsetzung seines großartigen Films »Schmetterling und Taucherglocke« (2007), der von einem Mann handelt, der nach einem Schlaganfall vollständig gelähmt ist, nur ein Auge kann er noch bewegen. Und mit diesem Auge nimmt er nicht nur Kontakt zur Außenwelt auf, sondern schafft es sogar, mittels einer Art Morsealphabet ein Buch zu diktieren, bevor er stirbt. Wer diesen Film gesehen hat, trägt das Memento mori mit sich.

Ja, man kann von dem Gebet eines Malers sprechen, in dem es immer nur um sämtliche Arten von Gelb oder Rot geht, die ihm alles sind: Himmel und Hölle, Leben und Tod. Schnabel lässt jedoch auch Dinge weg, die man eigentlich nicht weglassen sollte, wenn man von van Gogh erzählt. Seine Zeit als Lehrling im Kunsthandel etwa, den er verabscheut, seine Zeit in der belgischen Borinage als Armenprediger, seine Zeit mit der Hure Sien, die er liebt, ohne blind für ihre unrettbare Verdorbenheit zu sein.

Sein grenzenloses Mitleid mit jeder Art von geschundener Kreatur bei gleichzeitig hochfahrendem Künstlerstolz. Seine Zeit in Paris, wo er bloß trinkt und ihn nur sein Bruder, der Kunsthändler Theo, davor bewahrt, völlig zu verkommen. Aber auch der Bruder, der ihn am Leben hält, vermag es nicht, etwas von ihm zu verkaufen.

Van Gogh war immer schwer krank, aber wahnsinnig, wie Schnabel seltsamerweise suggeriert, war er nicht. Nur unendlich reizbar, depressiv mit manischen Ausbrüchen, aber dabei immer klar blickend, allzu klar.

Viele Assoziationen, wenig Lebensgeschichte

So kompakt Schnabels Bild von van Gogh ist, so einseitig doch auch: Allzu vieles, was zum Verständnis des Malers gehört, fehlt auch in seinem Charakterprofil. Seine unendliche Belesenheit etwa, die es erst noch zu entdecken gilt. Wenn er nicht malte, las er oder schrieb, vor allem seine großartigen Briefe an Theo, die Weltliteratur sind. Da war Vincente Minnelli mit seinem Filmklassiker »Vincent van Gogh - Ein Leben in Leidenschaft« (1956) durchaus weiter, schon allein, weil er nicht immer nur auf Assoziationen reduziert, sondern sich Zeit nimmt, die Lebensgeschichte zu erzählen. Den Traum von der Künstlerkolonie etwa, die Kollision Vincent van Goghs mit Paul Gauguin in Arles im »Gelben Haus«.

Immerhin, einen Schauspieler, der überzeugt, hat auch Schnabel: Willem Dafoe anverwandelt sich dem Maler auf atemraubende Weise und sprengt damit wohl auch das Regiekonzept, das den Weg eines außerbürgerlichen Künstlers in den unvermeidlichen Untergang zeigen soll. Aber das immer mit jener spürbar kalten Distanz des ewigen Fremdlings unter Menschen. Dafoe jedoch sprüht vor schöpferischer Hitze, geht über Grenzen und gibt seinen Maler nicht kampflos her. Man sieht ihm seine 63 Jahre nicht an, während er der 35-jährige van Gogh ist.

Keine Stationen, nur immer Assoziationen. Am 27. Juli 1890 dann der Schuss, der van Gogh in den Bauch traf. »Ich habe mich erschossen. Ich hoffe nur, dass ich es nicht verpfuscht habe«, rief er seinen Wirtsleuten Ravoux zu, als er sich abends, die Hand auf die Wunde gepresst, in die Pension zurückschleppte. Die Wunde entzündete sich, und der Maler starb am übernächsten Tag. Jener Doktor Gachet, der ihn in Auvers betreut, wagte nicht, ihm dem Bauch aufzuschneiden, um die Kugel herauszuholen. Mit Gachet hatte er sich zuvor seiner Tochter wegen zerstritten, die van Gogh umwarb.

Die Geschehnisse kurz vor seinem Tod sind durch zahlreiche Zeugenaussagen dokumentiert. Aber ebenso wie neuerdings die Tatsache, dass van Gogh sich ein Ohr abschnitt, wird auch die seines Selbstmords bestritten. Dorfjungen, so behaupten einige Stimmen, hätten auf ihn geschossen, und van Gogh habe sie nicht verraten wollen. Keine sehr überzeugende Theorie. Dass auch Schnabel dieser billigen Sensationsmache breiten Raum gibt, wo er doch sonst kaum Interesse an biografischen Details zeigt, verstimmt.

Ein Brief, den Vincent van Gogh an jenem Tag bei sich trug, als er auf sich schoss, ist ein Abschiedsbrief an seinen Bruder Theo. In ihm heißt es, mit dem Händlerdasein des Bruders hadernd: »Wir können, offen gesagt, nichts anderes tun, als unsere Bilder sprechen zu lassen.«

»Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit«, USA/Frankreich 2018. Regie: Julian Schnabel; Darsteller: Willem Dafoe, Rupert Friend, Oscar Isaac. 111 Min.

Gunnar Decker ist Autor der Biografie »Vincent van Gogh. Pilgerreise zur Sonne«, erschienen im Verlag Matthes & Seitz Berlin.

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