- Wirtschaft und Umwelt
- Mehrwertsteuer im Fernverkehr
Der neue ICE bereitet der Bahn Sorgen
Bundesverkehrsminister Scheuer will Mehrwertsteuer auf Tickets im Fernverkehr senken
Mit dem Vorschlag, durch eine Steuersenkung Reisen mit der Deutschen Bahn zu verbilligen, erregt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bei Bahnkunden und Gewerkschaftern Aufsehen. In einem Interview mit der »Bild«-Zeitung sprach sich der Minister dafür aus, im Fernverkehr die Mehrwertsteuer auf Tickets von 19 auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent abzusenken. Dies könne die Kunden um bis zu 400 Millionen Euro pro Jahr entlasten und die Bahn gegenüber anderen Verkehrsträgern attraktiver machen. »Wem es mit dem Klimaschutz und dem Umstieg von Auto oder Flugzeug auf die Bahn ernst ist, der muss bei der Steuer ansetzen«, so Scheuer. Er verwies darauf, dass sich seit Inbetriebnahme der schnellen ICE-Verbindung Berlin-München 2017 die Fahrgastzahlen verdoppelt hätten und bereits 30 Prozent der Kunden vom Flieger in den ICE umgestiegen seien.
»Dies ist ein erster richtiger Schritt, dem aber weitere folgen müssen«, erklärte Alexander Kirchner, Chef der DGB-Bahngewerkschaft EVG. Damit werde eine langjährige EVG-Forderung umgesetzt. Doch auch mit sieben Prozent Mehrwertsteuer seien die Wettbewerbsbedingungen immer noch zulasten der Schiene verzerrt, so der Gewerkschafter im Hinblick auf die Tatsache, dass »ausgerechnet der umweltfreundliche Verkehrsträger Schiene mit Abgaben wie der Stromsteuer und der EEG-Umlage belastet ist, während der Flug- und der Lkw-Verkehr davon befreit sind«.
Unterdessen wird die Bahn weiter von negativen Schlagzeilen über eine folgenschwere technische Panne verfolgt, die sie nicht unmittelbar zu verantworten hat. So sorgte dieser Tage für Aufsehen, dass die Erneuerung des Fahrzeugbestands bei ICE-Hochgeschwindigkeitszügen ins Stocken geraten ist. Auslöser sind defekte Schweißnähte, die an Fahrzeugen der neuen ICE-4-Baureihe entdeckt wurden. Die Bahntochter DB Fernverkehr verweigert seither die Annahme der von Siemens und Bombardier gelieferten Fahrzeuge. Die Bahn meldete die Mängel dem zuständigen Eisenbahnbundesamt. Die Hersteller wollen nach eigenen Angaben mit der Bahn an einer Lösung arbeiten.
Dem Vernehmen nach wurden die Mängel an 15 ICE-4-Wagen festgestellt, die bereits im Einsatz waren. Die defekten Schweißnähte befinden sich an den Wagenkästen, also dem Rohbau der einzelnen Wägen. Obwohl die reklamierten Mängel nicht sicherheitsrelevant seien, habe die Bahn die bereits eingesetzten Fahrzeuge aus dem Verkehr gezogen. Die Behebung der Fehler dürfte allerdings kompliziert und aufwendig sein. Fast drei Jahrzehnte nach dem Start des ICE-Verkehrs hatte die Bahn fest mit den neuen Fahrzeugen gerechnet, die ältere ICE-Generationen ersetzen sollen. Nun könnten die Verzögerungen Probleme auslösen, zumal die für Ausfälle vorgesehenen Reserven sehr knapp sind. Erste Züge der neuen Generation waren Ende 2017 in den Regelbetrieb gegangen. Bis 2023 soll die Zahl der bundesweit eingesetzten ICE-4-Züge auf 119 aufgestockt werden. Der Auftrag hat ein Volumen von rund sechs Milliarden Euro.
Die beanstandeten Schweißarbeiten wurden offensichtlich in Polen durchgeführt - ein Hinweis auf die Tatsache, dass die deutsche Bahnindustrie viel an offenbar kostengünstige Subunternehmen in Osteuropa auslagert. Das Management des polnischen Betriebs habe inzwischen den angeblich für die defekten Nähte verantwortlichen Schweißer ausfindig gemacht und entlassen, berichteten Medien unter Bezug auf Industriekreise.
Mit dieser exemplarischen Bestrafung eines einzelnen Arbeiters wurde allerdings nur ein Sündenbock geopfert. Damit sind die strukturellen Probleme im Verhältnis zwischen der Bahn und der Industrie nicht aufgearbeitet oder beseitigt. Denn mit dem Einstieg in die Bahnprivatisierung durch den Übergang von Bundesbahn und Reichsbahn in die privatrechtliche Deutsche Bahn AG wurden auch die über Jahrzehnte als Nahtstelle zwischen Bahn und Industrie fungierenden Bundesbahnzentralämter (BZA) in Minden und München aufgelöst.
Über Jahrzehnte hatten in diesen »Innovativschmieden« erfahrene Spezialisten alle neuen Fahrzeuge entwickelt und intensiv getestet, bevor sie in den Regelbetrieb kamen. Mit der Auflösung der BZA ging die neoliberal angehauchte Philosophie einher, wonach die Industrie als Vertragspartner der Bahn das einwandfreie Funktionieren der Fahrzeuge sicherstellen solle und notfalls zu Regress und Schadensersatz verpflichtet sei. Statt Technikern sollten nun Juristen eventuelle Probleme lösen. Der Bahn ging viel Fachwissen und Erfahrung verloren, als Spezialisten aus BZA und auch anderswo im Hinblick auf einen angestrebten Börsengang aus Kostengründen frühzeitig pensioniert wurden. Damit wuchs auch die Abhängigkeit von der Industrie, die seit Jahren bestrebt ist, alle lukrativen Wartungs- und Reparaturaufträge zulasten der bahneigenen Werke an Land zu ziehen. Kommentar Seite 10
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