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  • Gedenkstätte Hohenschönhausen

Die Stasi im »Neuen Deutschland«

Gedenkstätte Hohenschönhausen informiert über konspirative Wohnungen.

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Bis zur Wende war die Belegschaft der Tageszeitung »Neues Deutschland« so groß, dass nicht jeder jeden Kollegen kannte. Doch im Redaktionshaus am Berliner Franz-Mehring-Platz 1 gab es in der fünften Etage ein Zimmer, in dem Männer ein- und ausgingen, die hier niemand kannte. Gerüchten zufolge handelte es sich dabei um Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). »Die belauschen uns«, soll eine Redakteurin der Abteilung Volksbildung, die ihr Büro direkt nebenan hatte, damals entrüstet gesagt haben. Entrüstet deswegen, weil doch bis auf wenige Ausnahmen für untergeordnetes, technisches Personal beim SED-Zentralorgan sowieso nur überzeugte Genossen eingestellt wurden, die man nicht hätte überwachen müssen.

Von dieser Regel gab es nur ganz wenige Ausnahmen: Einen Lehrling in der Druckerei, der aus der Berufsschule flog, weil er einen der in kirchlich-oppositionellen Kreisen beliebten pazifistischen Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen« auf dem Rucksack trug, einen Auslandskorrespondenten, der sich in Indien verliebte und deswegen der Aufforderung zur Rückkehr nach Berlin nicht Folge leistete.

Fakten
  • Die am 29. März 2019 eröffnete interaktive Ausstellung »Stasi in Berlin – Überwachung und Repression in Ost und West« ist bis zum 31. März 2019 täglich von 9 bis 18 Uhr in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Genslerstraße 66 in 13055 Berlin, zu besichtigen. Der Eintritt ist frei.
  • Knapp zweieinhalb Jahre wurde an dieser multimedialen Ausstellung gearbeitet. Dafür sind im Archiv des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen mehr als 600 teils mehrbändige Akten ebenso gesichtet worden wie Fotos und Filme. Recherchiert wurde außerdem im Deutschen Rundfunkarchiv, im Archiv des Senders rbb sowie in Bildarchiven. Darüber hinaus wurden Interviews mit Zeitzeugen und Experten geführt.
  • Die Ausstellung zeigt mehr als 90 Adressen des sowjetischen Geheimdienstes aus der zweiten Hälfte der 1940er Jahre, etwa 50 Adressen aus den Anfängen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit und rund 300 seiner Dienstsitze und Stützpunkte der 1980er Jahren. Außerdem vermerkt sind Tausende konspirative Wohnungen.
  • Das Ministerium für Staatssicherheit beschäftigte 1989 etwa 90.000 hauptamtliche Mitarbeiter, davon allein 40.000 in Berlin. Dazu kamen 11 000 Soldaten und Offiziere des Wachregiments »Feliks Dzierzynski«.
  • Ende der 1980er Jahre hörte das MfS täglich 400 bis 600 Telefongespräche ab und beschlagnahmte zwischen 1984 und 1989 32 Millionen D-Mark aus Westpaketen.
  • In Berlin gab es allein elf konspirative Wohnungen in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg, wo sich in den 1980er Jahren eine alternative Szene geformt hatte. af

Sensible Bereiche abzusichern, das gehörte nun einmal zu den Aufgaben des MfS. Dass es beim »ND« ein Zimmer hatte, steht heute fest. Die Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen zeigt gegenwärtig eine Ausstellung, die das offenlegt. In dem Ausstellungsraum laufen die Besucher über ein Luftbild von Berlin und können auf einem Tablet sehen, wo sich MfS-Objekte befanden. Zum Teil gibt es dazu Fotos, Filme und erklärende Texte. Einen Kurzfilm gibt es beispielsweise zu dem Fußballstadion, in dem der BFC Dynamo seine Heimspiele austrug. Minister Erich Mielke war Fan und saß als Zuschauer auf der Tribüne.

Für den Franz-Mehring-Platz 1 ist eine »konspirative Wohnung« der Hauptabteilung XX erfasst, die für die Bereiche Staatsapparat, Kirche, Kultur und Opposition zuständig war. Der Begriff »Wohnung« ist hier missverständlich. Doch das MfS benutzte auch echte Wohnungen - beispielsweise, um sich dort mit »Inoffiziellen Mitarbeitern« (IM) zu treffen oder um von dort aus Nachbarn zu observieren. Es gab Wohnungen, die allein diesem Zweck dienten, aber auch Quartiere von verlässlichen Genossen, die dafür ein Zimmer in ihrer Wohnung zur Verfügung stellten.

Auch Knud Wollenberger, IM »Donald«, traf sich in einer konspirativen Wohnung mit seinem Führungsoffizier. Die Verabredung dazu erfolgte am Telefon mit den Worten: »Wir treffen uns bei den Grünpflanzen.« Denn mit diesen Pflanzen sei die Wohnung voll gewesen, erzählte Wollenberger vor seinem Tod im Jahr 2012. Den Führungsoffizier schilderte er als einen vernünftigen Mann, der zur Reformpolitik von »Glasnost« (Offenheit) und »Perestroika« (Umbau) des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow neigte - eine Haltung, die in der Hauptabteilung XX keine Seltenheit gewesen sein soll, obwohl die DDR ihre Probleme damit hatte. Wollenberger sah sich bis zuletzt als Mann der Opposition, der dem MfS offen seine Meinung sagte, aber sich an die Regeln der Konspiration hielt und seiner Frau, der späteren CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld, nichts von den Treffs bei den Grünpflanzen verriet.

4200 solcher Adresspunkte mit Stasiobjekten verzeichnet die Ausstellung. Es verblüfft, wie dicht die konspirativen Wohnungen in der Innenstadt beieinander lagen, etwa die jeweils gleich um die Ecke gelegenen Wohnungen »Finnland«, »Meyer« und »Kurt« in der Czarnikauer, Driesener und Paul-Robeson-Straße in Prenzlauer Berg. Das sei auch die Absicht zu zeigen, wie engmaschig das Netz gewesen sei, das die Stasi über die Stadt geworfen hatte, bestätigt André Kockisch, Sprecher der Gedenkstätte Hohenschönhausen.

Im nd-Gebäude gehen die Offiziere von einst heute offen ein und aus. Sie belauschen niemanden mehr. Vielmehr finden sie Hilfe bei der Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR und bei der Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung. Diese haben hier Büros angemietet. Es wäre interessant zu erfahren, wo sich der Verfassungsschutz mit seinen Spitzeln trifft. Doch um das aufzudecken, muss auch dieser Geheimdienst erst aufgelöst werden.

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