- Wissen
- Insektensterben
»Das ist der wunde Punkt«
Dr. Steffen Schmidt über das Verschwinden der Insekten und der Insektenbestimmer
Biologen schlagen Alarm: Die Krise der Taxonomie sei ausgebrochen. Sterben nicht nur Insektenarten aus, sondern auch die Leute, die sie benennen können?
Der Gedanke liegt nah, doch für die Taxonomie insgesamt stimmt das nicht. Es gab vor ein paar Jahren mal eine Untersuchung vom Berliner Naturkundemuseum, die zu dem Ergebnis kam, dass in Deutschland die Zahl der taxonomischen Veröffentlichungen eher wächst.
Nur bei den Insektenbestimmern gibt es keinen Nachwuchs.
Kaum akademischen. Aber auch in unserer von Wissenschaft und Diplomen geprägten Zeit gibt es immer noch die Jäger-und-Sammler-Biologie der Hobby- und Freizeitexperten. Taxonomie war nie auf die Universitäten beschränkt. Auch heute wird das Schmetterlings-Monitoring oder die Wintervogelzählung an der Basis von Leuten gemacht, die das nicht beruflich tun.
Gibt es denn noch viel Unentdecktes, was da so am Boden kreucht?
Eine ganze Menge. Einiges ist uns einfach noch nie aufgefallen, weil es in Gegenden lebt, wo der weiße Mann nicht so viel rumgelaufen ist. Und dann gibt es etliches in den Sammlungen der Museen und Unis, was falsch eingeordnet ist.
Man müsste die Sammlungen neu untersuchen?
Ja. Schon weil man inzwischen technische Mittel hat, die damals noch nicht vorhanden waren. Man wird feststellen, dass bestimmte Verwandtschaften gar nicht so sind wie früher angenommen. Das ist ja der wunde Punkt. Wir können zwar viel labern über die Erhaltung der Artenvielfalt und dann wissen wir gar nicht, was wir überhaupt schützen müssen. Gerade bei den Insekten fehlt der Überblick.
Früher brauchte man beim Autofahren den Scheibenwischer für Insekten. Heute hat man klare Sicht.
Das ist kein Wunder, wir haben inzwischen ja in weiten Teilen Deutschlands eine Agrarlandschaft, die sich durch extreme Arteneinfalt der Pflanzen auszeichnet, was natürlich auch nur noch einen bestimmten Teil der Insekten anlockt und nährt. Und die versucht die konventionelle Landwirtschaft dann auch noch auszurotten. Und damit auch die Vögel.
Ich hab mir als Laie folgendes gemerkt: Wenn man im Sommer in der Natur badet und Libellen sieht, dann ist das ein gutes Zeichen.
Libellen sind in der Regel ein Zeichen von intakter Wasserumwelt. In überdüngten Seen und anderweitig versauten Gewässern siehst du kaum Libellen. Das ist schon auffällig.
Und wie ist es mit Glühwürmchen?
Gute Frage, ich weiß es nicht. Ich habe lange keine gesehen, um ehrlich zu sein. Das letzte Mal in meiner Kindheit. Ob das nun ein Zeichen für Umweltschäden ist?
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.