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Mutterland der Bürgerbeteiligung
Teil 1 der Serie zur Halbzeitbilanz der linksregierten Ostbezirke: Lichtenberg
Berlin-Lichtenberg wächst rasant. Ganz in der Nähe des pittoresken Rathauses des Bezirks, an der Ecke Möllendorffstraße/Frankfurter Allee, drehen sich Baukräne. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge baut allein hier auf einem einen Hektar großen Areal mehr als 250 Wohnungen zu bezahlbaren Preisen. »Wir haben im Bezirk Lichtenberg ein stabiles Mietniveau«, freut sich Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst (LINKE). Rund zwei Drittel der Mietwohnungen befinden sich derzeit im Besitz von städtischen Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) sage ihm immer, das sei ihr »Traum für ganz Berlin«, so Grunst.
In diesen Tagen wird überall in Berlin Halbzeitbilanz zur Legislatur gezogen. Die kann sich aus Sicht von Grunst für seinen Bezirk durchaus sehen lassen. »Lichtenberg ist ein attraktiver Ort geworden«, sagt der 49-jährige Bürgermeister. Er verweist auf den Zuzug insbesondere aus den Bereichen der Kunst und Kreativwirtschaft. Natürlich kommen gerade die Kulturschaffenden nach Lichtenberg, weil sie aus der Innenstadt verdrängt wurden. Aber sie kommen eben auch, weil es in Lichtenberg noch Freiräume gibt. Die will der Bezirksbürgermeister dringend erhalten. Dass es dazu unterschiedliche Ansichten und Reibung im Bezirksamt gebe, sei bei einem durch Proporz besetzten Gremium »normal«, findet Grunst. Das zwinge die Parteien zur Zusammenarbeit.
Wie in anderen Bezirken bringt die wachsende Stadt auch in Lichtenberg Streit mit sich. Bezirksbürgermeister Grunst, der sich die Beteiligung der Bürger auf die Fahnen geschrieben hat und der Lichtenberg mit Blick auf den Bürgerhaushalt »als Mutterland der Bürgerbeteiligung« lobt, wird an diesem Montag im besonderen Fokus stehen. Am Abend soll nämlich die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zu einer Sondersitzung zusammenkommen, auf der der Bebauungsplan Ostkreuz zum noch unbebauten Teil der Rummelsburger Bucht beschlossen werden soll. Gegen die Bebauungspläne hatte es zuletzt massiven Widerstand im Bezirk gegeben. Dabei kam auch der Bezirksbürgermeister sein Fett weg. Nach 27 Jahren der Planungen und Umplanungen sieht Grunst aber auch die Zeit gekommen, einen Beschluss zu fassen. »Eigentlich ist das eine ganz gute Lösung«, sagt er. Und: »Wir haben von Lichtenberger Seite herausgeholt, was ging.« Grunst verweist auf den Bau einer neuen dreizügigen Grundschule, 180 Kitaplätze, die entstehen sollen und immerhin rund 80 Wohnungen, die die Howoge an der Bucht zu leistbaren Mieten bauen will. Dass gleich nebenan für zahlreiche Sozialwohnungen die Belegungsbindung ausgelaufen ist, bereitet dem Bezirksbürgermeister generell mehr Kopfschmerzen als die Neubaupläne mit dem Wasserpark »Coral World«.
Überhaupt die Armut im Bezirk. Zwar konnte die Arbeitslosigkeit zuletzt stark zurückgedrängt werden: In Lichtenberg sind so wenige Menschen ohne Arbeit, wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Dennoch gibt es Kieze wie etwa in Hohenschönhausen, in denen 50 Prozent der Jüngeren von Kinderarmut bedroht sind. Und sehr viele alleinerziehende Mütter leben, die besonders von Armut bedroht sind. Um das soziale Netz enger zu stricken, plant der Bezirk unter anderem das Zentrum von Hohenschönhausen städtebaulich neu zu gestalten. So soll für rund 20 Millionen Euro ein Kultur- und Bildungszentrum gebaut werden, in dem auch gemeinsam mit dem Jobcenter schulische und berufliche Qualifizierungen durchgeführt werden sollen. Die Kinderarmut will das Bezirksamt auch ressortübergreifend anpacken. Nach der Sommerpause soll es einen Runden Tisch geben, der Handlungsempfehlungen erarbeitet, um die Armut zu bekämpfen.
Nach zwei Jahren im Amt ist Grunst immer noch überrascht davon, »wie groß der Bedarf bei der Ertüchtigung der sozialen Infrastruktur« ist. Finanziell stehe der Bezirk durch solide Haushaltswirtschaft sehr gut da. Auch beim Thema Personal geht es voran: Zwar gibt es noch rund 100 freie Stellen, aber die Einstellungsdauer konnte inzwischen auf vier Monate abgesenkt werden.
Am Ende sind die Bezirke auch vom Handeln des Senats abhängig. »Wir brauchen funktionierende Mobilitätskonzepte«, kritisiert Grunst. Bei der Debatte zum Neubau von U-Bahn-Linien etwa müsse der Senat »mal Farbe bekennen«. Denn ohne einen gut funktionierenden Öffentlichen Personennahverkehr und eine gesamtstädtische Steuerung können die Bezirke nicht weiter wachsen.
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