Der lachende Vierte

Wenn die Union ihren Spitzenkandidaten Weber fallenlässt, rückt der Posten des EZB-Chefs für Jens Weidmann näher

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer wird es denn nun? Wer macht das Rennen um die oder den neuen EU-Kommissionspräsidenten? Wird es der konservative Spitzenkandidat Manfred Weber, der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans oder die liberale EU-Wettbewerbskandidatin Margrethe Vestager? Jemand, der der lachende Vierte in der Personalrochade sein könnte, wenn Deutschland seinen Kandidaten Weber fallenlässt, ist auf jeden Fall Bundesbankpräsident Jens Weidmann.

Schon seit längerem schielt man in Berlin auf den Chefposten bei der Europäischen Zentralbank. Als ein Nachfolger für Ex-EZB-Chef Jean-Claude Trichet gesucht wurde, war bereits der damalige Bundesbankpräsident Axel Weber ein heißer Kandidat. Doch dieser trat 2011 aufgrund seiner Opposition zur lockeren EZB-Geldpolitik während der Finanzkrise zurück. Daraufhin wurde der jetzige Amtsinhaber Mario Draghi Präsident der Zentralbank.

Lesen Sie auch: Postengeschacher offiziell eröffnet

Der Wunsch nach dem Chefsessel in Frankfurt am Main dürfte innerhalb der Bundesregierung seitdem eher noch stärker als schwächer geworden sein. Auch wenn Deutschland massiv von den niedrigen Zinsen und Anleihenkäufen profitiert, die Mario Draghi auf den Weg gebracht hat, wird immer wieder massive Kritik an seinem Handeln laut - auch seitens Weidmann und seiner Bundesbank. Die Argumente sind immer die gleichen: Die EZB enteigne mit ihrer Niedrigzinspolitik die hiesigen Sparer und trage zur Bildung neuer Spekulationsblasen bei, außerdem verhindere sie mit ihren Anleihenkäufen, dass die Eurostaaten sparen und vernünftig mit ihrem Geld umgehen.

Doch werden es die anderen EU-Mitglieder nicht zulassen, dass sowohl die EU-Kommission als auch die EZB künftig von einem Deutschen geführt wird. Zu sehr geht es bei dem Postengeschacher auch um einen wohl austarierten Länderproporz. Insofern sind Weidmanns Chancen mit dem schlechten Abschneiden der Union bei den Europawahlen vergangenes Wochenende bereits gestiegen.

Dieser Überzeugung ist etwa der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Dies vor allem, weil keine Unterstützung für Weber »durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron absehbar ist«, erklärte Fratzscher Anfang dieser Woche gegenüber der Onlineausgabe des »Manager Magazin«.

Dass Weidmann vielleicht den Oktober ausscheidenden Draghi beerben kann, wurde schon im Februar 2018 mit der Wahl des erzkonservativen Spaniers Luis de Guindos Jurado zum EZB-Vizepräsidenten eingefädelt. Denn auch innerhalb der Zentralbank gilt ein gewisser Länderproporz: Ist ein Nordeuropäer Präsident, dann sollte der Vizepräsident aus Südeuropa sein, so die Regel. Und so wurde mit der Wahl des Südeuropäers de Guindos Jurados für den Nordeuropäer Weidmann der Weg auf den Chefsessel freigemacht.

Es könnte durchaus im Interesse der Bundesregierung sein, Weber fallenzulassen und Weidmann den Rücken zu stärken. »Für Deutschland ist die Besetzung des EZB-Präsidentenamtes von größerer ökonomischer Bedeutung als der Chefsessel der EU-Kommission«, sagte Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Die schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament würden den Handlungsspielraum des nächsten Kommissionspräsidenten so stark einengen, dass die Frage seiner eigenen politischen Überzeugungen wenig relevant sei. Dies sei für die EZB grundlegend anders: »Der EZB-Rat entscheidet über alle Maßnahmen der Geldpolitik in völliger Unabhängigkeit von Parlament oder Rat«, so Heinemann.

Ob es dann für die Währungsunion so gut ist, wenn ein Deutscher Draghi nachfolgt, steht freilich auf einem anderen Blatt geschrieben. Und auch, ob es Weidmann letztlich macht. Neben ihm gibt es eine Reihe weiterer Anwärter auf den Chefposten der EZB. Etwa den finnischen Notenbankchef Olli Rehn oder das französische EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.