Bei der Skepsis Durchschnitt
Was Bundesbürger über Technik denken
Die deutsche Bevölkerung nimmt bei ihrem Verhalten gegenüber den digitalen Technologien im europäischen Vergleich eine Mittelstellung ein. Sind die Skandinavier überwiegend positiv zur Digitalisierung eingestellt und nutzen deren Möglichkeiten aktiver, so bilden die Südeuropäer den anderen Pol, der von stärkerer Unsicherheit und Ablehnung geprägt ist. Zu diesem Befund gelangt der zweite »TechnikRadar«, eine Untersuchung der Akademie für Technikwissenschaften »Acatech« und der Körber-Stiftung in Hamburg. Dabei wurden erstmals die Einstellungen zur Digitalisierung im europäischen Vergleich beleuchtet. Die Ergebnisse wurden in dieser Woche in Berlin vorgestellt.
»In Europa gibt es erhebliche Unterschiede bei der Wahrnehmung und Bewertung des digitalen Wandels. Digitalisierung wird insbesondere dann kritisch erlebt, wenn sie als ein Prozess wahrgenommen wird, dem man sich ausgeliefert fühlt«, erklärte Cordula Kropp, wissenschaftliche Projektleiterin und Soziologin vom Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart, bei der Vorstellung der Ergebnisse. »Menschen, die sich in der Digitalisierung als vergleichsweise kompetent erleben und auf die institutionelle Regulierung vertrauen, sind auch optimistischer bei der Bewertung von Gestaltbarkeit und Chancen.«
Nach dem neuen TechnikRadar, in den auch repräsentative Ergebnisse der EU-Statistik wie dem »Eurobarometer« eingeflossen sind, erwarten insgesamt drei Viertel der europäischen Bürger von der Digitalisierung »einen positiven Einfluss auf die Wirtschaft«. Zwei Drittel äußern sich optimistisch, wenn es generell um »gesellschaftliche Auswirkungen« (64 Prozent) und den Einfluss auf die persönliche Lebensqualität (67 Prozent) geht.
Bei den Deutschen liegen die Erwartungen an eine bessere Lebensqualität etwa auf EU-Durchschnitt. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wirtschaft werden in Deutschland um sieben Prozentpunkte höher eingeschätzt. Dagegen werden die positiven Auswirkungen auf die Gesellschaft um zehn Prozentpunkte niedriger als im europäischen Durchschnitt bewertet.
Ein wichtiger Faktor für Technikakzeptanz ist die Einschätzung der individuellen Technikkompetenz. Die ist in Europa sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die Aussage »Ich halte meine Kompetenz, im täglichen Leben digitale Technologien zu nutzen, für ausreichend«, findet in Holland bei 90 Prozent der Bürger eine Zustimmung, in Schweden sind es 89 Prozent, in Deutschland mit 73 Prozent erheblich weniger. Schlusslicht sind Ungarn mit 52 Prozent und Bulgarien mit 54 Prozent.
Auch bei den Altersgruppen ist die Selbsteinschätzung der Technikkompetenz sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während die junge Generation der 16- bis 35 jährigen in allen Teilen Europa zu über 83 Prozent angibt, die digitalen Techniken gut nutzen zu können, steigt dieser Anteil bei den Männern über 65 Jahre in Schweden sogar noch auf 86 Prozent, während er in Italien auf 65 Prozent abfällt. Italiens ältere Frauen schreiben sich den gleichen geringen Kompetenzlevel zu wie die westdeutschen Frauen im Rentenalter: 59 Prozent.
»Dennoch beobachten wir, dass die Skepsis gegenüber der digitalen Technik nicht nur insgesamt zurückgeht, sondern dass auch bei den älteren Menschen zunehmend Vertrautheit mit dieser Technik aufkommt«, erklärte Ortwin Renn, acatech-Präsidiumsmitglied und wissenschaftlicher Direktor des IASS Potsdam. »Mit zunehmender Vertrautheit wächst auch die Zuversicht, dass wir die Chancen der digitalen Möglichkeiten besser nutzen und die Risiken besser begrenzen können. Ein positiver Effekt, den wir mit dem TechnikRadar als jährliches Monitoring und langfristiges Frühwarnsystem weiter im Auge haben werden«, so Renn.
Die Studie nimmt auch Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland unter die Lupe. Der Zukunfts-Optimismus zeigt sich in Deutschland als vergleichweise schwach. Vor allem in der älteren Generation über 65 Jahre »finden wir in Deutschland mit Abstand den geringsten Optimismus, wobei sich Ost- und Westdeutschland kaum bzw. gar nicht unterscheiden«, stellt der TechnikRadar fest. In keinem der untersuchten Länder fänden sich seit 1996 so große Unterschiede zwischen Jüngeren und Älteren wie in Deutschland. Auch frühere Erziehungsstile hätten ihre Wirkung verloren. »Gegen die Hypothese einer technikfreundlichen DDR-Sozialisation spricht«, so interpretieren die TechnikRadar-Autoren, »dass der Unterschied zwischen Jüngeren und Älteren in Ostdeutschland noch einmal größer ist als in Westdeutschland«.
»Andere Länder in Europa machen uns vor, wie man die Chancen der Digitalisierung ergreift«, äußerte sich Lothar Dittmer, Vorsitzender des Vorstands der Körber-Stiftung, bei der Präsentation des TechnikRadars. »Wir müssen uns in Deutschland in Zukunftsfragen mehr zutrauen, um unseren Wohlstand und unsere Position als weltweit führender Technologie- und Innovationsstandort nicht zu gefährden«, so Dittmer weiter.
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