Mieterprotest als Investitionsrisiko

Der Widerstand gegen Immobilienunternehmen wie die Deutsche Wohnen wächst

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir haben Eigenbedarf«, steht auf einem großen Banner am Zaun der Lobeckstraße 64 in Berlin-Kreuzberg. Wenige Schritte weiter hängt eine überdimensionale Unterschriftenliste des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen«. Mit einem etwa anderthalb Meter großen Stift können dort die Mietaktivist*innen der »European Action Coalition for the Right of Housing and the City« symbolisch unterschreiben.

Rund 80 Menschen sind am Freitagmorgen zu dem hinter einem Baugerüst versteckten 16-geschossigen Hochhaus der Deutsche Wohnen gekommen, deren Mieter*innen sich zurzeit gegen die Modernisierungsmaßnahmen des für seine rabiaten Entmietungsstrategien berüchtigten Wohnungskonzerns wehren. Die Koalition aus stadtpolitischen Initiativen aus ganz Europa trifft hier im Rahmen ihres mehrtägigen Treffens in Berlin (»nd« berichtete) Vertreter*innen der Initiative zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen, die mittlerweile auch über die Grenzen Deutschlands hinaus Berühmtheit erlangt hat.

Mietenwahnsinn: Links und Termin

Fest der Linken 2019: Wie holt man sich die Stadt zurück?
Mietendeckel, Mietpreisbremse oder gleich Enteignung der großem Konzerne wie Deutsche Wohnen? Wohnen als soziale Frage drängt mit Macht aufs politische Parkett. Mit Harald Wolf, Sprecher für Verkehr, Energiewirtschaft, Beteiligungen der Berliner Linksfraktion, mit der Grünen-Abgeordneten Katrin Schmidberger und der Gruppe „Deutsche Wohnen & Co. enteignen!“ / dasND.de/fdlWohnen

Dossier: Wem gehört die Stadt?
Gegen den Ausverkauf der Wohninfrastruktur und des öffentlichen Raums

Verwertung einer Mieternation
Wie die heutige Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt erschaffen wurde

Die Städte denen, die drin wohnen
Wohnen ist in den Mittelpunkt sozialer Fragen gerückt - wie können Antworten von Links in einer stark befeuerten Debatte aussehen?

nd-Serie: »Muss die Miete immer teurer werden?«
Andrej Holm räumt in einer 2017 von "neues deutschland" und der Rosa-Luxemburg-Stiftung 2017 präsentierten Serie mit Mythen über Wohnungsbau, Wohnungswirtschaft und Mieten auf.
dasnd.de/WohnenHolm

Die Aktivist*innen aus Frankreich, Portugal, Serbien, Rumänien und vielen weiteren Ländern zeigen sich beeindruckt von den mietenpolitischen Kämpfen in der Hauptstadt und sehen in dem Volksbegehren Vorbildcharakter für ähnliche Initiativen in ihren Ländern. Das hofft auch Iris Bärbel Müller von »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen«: »Wenn wir erfolgreich sind, werden andere Städte folgen«, ruft sie den jubelnden Aktivist*innen zu.

Die Schriftstellerin wohnt seit vielen Jahrzehnten in Kreuzberg und ist besorgt über die jüngsten Entwicklungen in ihrem Kiez: »Auch Menschen mit geringem Einkommen sollten in der Stadt leben können, in der sie arbeiten«, findet sie. Schließlich seien es Menschen wie Pfleger*innen, Busfahrer*innen oder Mitarbeiter*innen der Müllabfuhr, die dafür sorgen würden, dass diese Stadt funktioniert. »Wohnen ist ein Menschenrecht, aber es ist zu einem Privileg geworden«, so Müller, die selbst Mieterin der Deutsche Wohnen ist.

Deswegen wollen sie und ihre Mitstreiter*innen Wohnkonzerne mit mehr als 3000 Wohnungen enteignen – mit Entschädigung versteht sich. Rund ein Dutzend Unternehmen wären laut Müller in Berlin davon betroffen. Geht es nach der Initiative, würde dadurch rund eine Viertel Million Wohnungen in die öffentliche Hand überführt werden, wovon etwa eine halbe Million Mieter*innen profitieren würden. Dass es dazu kommt, bezweifelt sie keine Sekunde, der Rückhalt in der Bevölkerung ist groß: »Keine Sorge, wir haben weit mehr Unterschriften als wir brauchen.« Allein das ist für die Kreuzbergerin schon ein Erfolg, selbst wenn das Volksbegehren scheitern sollte, wüssten Investoren spätestens jetzt, dass sie in Berlin mit Widerstand rechnen müssen, ist Müller überzeugt. Die versammelten Mietaktivist*innen unterschreiben derweil fleißig die Unterschriftenliste. 
20 stadtpolitische Initiativen aus 
16 verschiedenen Ländern haben sich am Ende dort eingetragen.

Die Stimmung ist ausgelassen, Junge und Alte, Familien mit Kindern, Hundebesitzer*innen und Rollstuhlfahrer*innen freuen sich über die internationale Solidarität – die Wohnungsfrage betrifft die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten. Bereits am Abend zuvor hatte es eine Protestaktion gegeben, bei der rund 100 Menschen gegen eine Feier des Immobilienverbandes Deutschland in Kreuzberg demonstrierten.

Einige der Aktivist*innen bewarfen einen Reisebus mit vermeintlichen Kongressteilnehmer*innnen mit Eiern, Tomaten und Farbbechern – leider auf den falschen Bus, wie sich herausstellte. In dem saßen nämlich keine Immobilienmakler, sondern eine Gruppe krebskranker Menschen, die unterwegs zu einer Privatveranstaltung nach Oberschöneweide war. Noch bevor die Polizei eintraf, flüchteten die Aktivist*innen unerkannt.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!