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»Wettbewerbsvorteil Sozialmodell«
Finnlands Ratspräsidentschaft will »Wohlbefinden« der Menschen zum EU-Politikziel machen
Schon seit Jahren hagelt es Kritik an der Fixierung auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP), um den Wohlstand der Gesellschaft zu messen. Doch noch im Bericht der EU-Kommission »Die EU im Jahr 2018« spielen wirtschaftliche Kennzahlen die Hauptrolle: »Die europäische Wirtschaft steht wieder auf gesunden Füßen und wächst weiter«, liest sich eines der Ergebnisse. Von sozialen Themen ist im Vorwort des Berichts nicht die Rede - und auch auf den Folgeseiten spielen sie eine untergeordnete Rolle.
Wenn es nach Finnland geht, soll sich das bald ändern. Die Finnen haben zum 1. Juli den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft übernommen. In den kommenden sechs Monaten wollen sie das Thema »Ökonomie des Wohlergehens« in der EU vorantreiben. Wohlergehen, oder auch »well-being«, wie das Wort in akademischen oder wirtschaftsnahen Kreisen bekannt ist, soll eine Erweiterung des BIPs-Leitziels der EU werden. Wie das konkret aussehen soll, ist bislang aber offen.
Am Montag wurde das Thema erstmals in Straßburg im Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik und Gesundheit vor den anwesenden 28 Länderentsandten aus den Sozial- und Gesundheitsministerien diskutiert. In einem Hintergrundpapier aus Finnland heißt es, die EU-Entscheidungsträger sollten anerkennen, dass »Wohlbefinden von Menschen eine Grundvoraussetzung für Wirtschaftswachstum und soziale und wirtschaftliche Stabilität« sei. Die EU soll sich dem Ziel verschreiben, das Wohlbefinden der Menschen als langfristige Priorität anzuerkennen. Dieses würde »die Legitimität der EU in den Augen der Bürger erhöhen«, heißt es im finnischen Vorschlag. Bis zum Oktober will Finnland mit den anderen Mitgliedern des Rates einen entsprechenden Beschluss verabschieden.
Am Montag standen vor allem vier Dimensionen im Fokus: Bildung und Fähigkeiten, das Gesundheitswesen, sozialer Schutz und der Abbau von Ungleichgewichten sowie Geschlechtergleichheit. Hierauf soll die EU nach Ansicht Finnlands und anderer Länder besonderes Augenmerk legen. Darin zu investieren sei in ökonomischer Hinsicht sinnvoll - auch in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs. So sei Prävention im Gesundheitsbereich um ein Vielfaches günstiger als die Kosten, die durch Krankheiten entstehen.
Doch es geht bei dem Konzept nicht alleine um bloße Mildtaten. Die finnische Vertreterin in der Debatte im EU-Sozialrat betonte, dass die Ökonomie des Wohlbefindens ein Weg sei, »wie man Produktivität verbessert, Wirtschaftswachstum erreicht, und die Gemeinschaft stärkt«.
Zustimmung kam von José Ángel Gurría, dem Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): »Das europäische Sozialmodell ist ein Wettbewerbsvorteil,« sagte er in der Sitzung am Montag. »Um bis zu zehn Prozent bis 2050« könne gar die Wirtschaft wachsen, wenn man Geschlechterungleichheiten bekämpfe.
Bereits seit 2011 misst die OECD Wohlstand etwas breiter mit dem »OECD Better Life Index«. Dieser nutzt zwar weiterhin das Bruttoinlandsprodukt als eine Kenngröße, ergänzt den Wert aber um weitere, wie die Stunden, die mit Freizeit verbracht werden können, Einkommensungleichheit, oder den Grad der finanziellen Absicherung durch den Staat im Fall von Arbeitslosigkeit.
Der bulgarische Vertreter wies darauf hin, dass ganze Bereiche des Wohlbefindens wie Gesundheitsdienste und Versorgung selbst wiederum Märkte seien, die die Wirtschaft ankurbeln könnten, wenn man sie ausbaue.
Die LINKE-Europaabgeordnete Özlem Demirel kritisierte gegenüber »neues deutschland«: »Wohlbefinden als Politikziel klingt zunächst nett, aber was heißt das konkret? Es braucht konkrete Maßnahmen, keine Lippenbekenntnisse.« Als eine wichtige Maßnahme nannte sie europäische Mindestlöhne. »Für uns Linke meint Wohlbefinden zuallererst, soziale Sicherheit herzustellen.«
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