Maschinen, Kinder und Kollegengespräche

Ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet nach Angaben der Bundesregierung häufig unter Lärm

Lärm nervt nicht nur, sondern kann auch krank machen. Wo möglich, geht es daher darum, Lärmquellen zu reduzieren oder - wenn Geräusche nicht ganz zu vermeiden sind - wenigstens die ihm Ausgesetzten zu schützen. Das gilt auch und insbesondere in der Arbeitswelt. Ein Viertel aller Beschäftigten muss häufig unter Lärm arbeiten, was besonders für die Metallerzeugung und Gießereien, Maschinisten sowie Hoch- und Tiefbauberufe zutrifft, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der LINKE-Abgeordneten Jutta Krellmann hervorgeht, die »nd« vorliegt.

Nicht jeder fühlt sich davon automatisch belastet: Immerhin die Hälfte der Lärmbetroffenen ist es aber, wie eine Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin im Jahr 2018 ergab, auf die sich die Bundesregierung stützt.

Dabei sind es gar nicht die Fabrik- und Bauarbeiter, die subjektiv am meisten unter dem Lärmpegel ihres Arbeitsplatzes leiden, sondern Kaufleute im Dienstleistungssektor, Beschäftigte in Sozial- und Erziehungsberufen sowie in Büro und Verwaltung. Bei den einen sind es Dauergeräusche von Kindergruppen, bei den anderen stören Drucker, Telefongespräche von Kollegen oder der dröhnende Rasenmäher im Innenhof die Konzentration.

Dies hat oft auch gesundheitliche Folgen: Die allmählich eintretende Lärmschwerhörigkeit ist nach Hauterkrankungen die zweithäufigste Berufskrankheit. Lärm erhöht aber auch das Unfallrisiko, etwa weil Warnsignale überhört werden, er kann zu Kopfschmerzen und emotionaler Erschöpfung führen.

Arbeitgeber sind verpflichtet, die Beschäftigten vor Lärm zu schützen. In der Industrie geht es um leisere Maschinen und Werkzeuge oder die Bereitstellung von Schutzkleidung, anderswo hängt vieles an der Berücksichtigung von Schallschutz und Raumakustik bei der Planung und Einrichtung von Büros und Gebäuden.

Lärm dürfte nicht überall ganz abstellbar sein, aber »Gesundheitsschäden durch Lärm bei der Arbeit sind vermeidbar«, betont Krellmann, Sprecherin für Mitbestimmung und Arbeit der Linksfraktion des Bundestages. Dass trotzdem so viele Beschäftigte unter Lärm leiden, verweist aus ihrer Sicht darauf, dass Arbeitgeber zu wenig zum Schutz der Beschäftigten unternehmen. Sie fordert, die Wahl von Betriebsräten gesetzlich zu erleichtern und sie besser zu schützen. Denn Betriebsräte könnten am ehesten auf die Reduzierung von Lärm am Arbeitsplatz hinwirken. Doch nicht einmal die Hälfte aller Beschäftigten in der westdeutschen Privatwirtschaft und gerade ein Drittel im Osten haben eine Interessenvertretung. Nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung behindern Arbeitgeber jede sechste Betriebsratsgründung, indem sie Kandidaten einschüchtern, ihnen mit Kündigung drohen oder die Bestellung eines Wahlvorstands behindern.

Angesichts solcher Lücken in der betrieblichen Mitbestimmung wären Arbeitsschutzkontrollen wichtig, um Missstände aufzudecken. »Dafür braucht es endlich ausreichend Personal«, erklärt Krellmann. Doch die Entwicklung geht in die entgegengesetzte Richtung, wie eine weitere Anfrage der LINKE-Politikerin offenbarte. So haben sich die Arbeitsschutzkontrollen zwischen 2007 und 2017 bundesweit fast halbiert, von 347 240 auf 182 504. Besonders stark war der Rückgang in Sachsen, Brandenburg und Schleswig-Holstein. Demnach bekommen Betriebsstätten heute im Durchschnitt nur noch alle 22,5 Jahre Besuch von staatlichen Kontrolleuren, wobei es große regionale Unterschiede gibt. Am längsten ist der Abstand in Schleswig-Holstein: Dort liegen 47,1 Jahre zwischen zwei Kontrollen.

Deutschland unterläuft beim Arbeits- und Gesundheitsschutz offenbar sogar internationale Mindeststandards. So werden nach Auskunft der Bundesregierung in der Mehrheit der deutschen Länder die Richtwerte für die Personalausstattung bei den Arbeitsschutzbehörden unterschritten, die von der Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen für Industrieländer vorgesehen sind.

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