Putin pocht auf Aussöhnung

Im schwelenden Konflikt zwischen Russland und Georgien verzichtet Kreml auf Sanktionen

  • Stefan Schocher
  • Lesedauer: 3 Min.

Dass Russlands Präsident Wladimir Putin einmal den guten Bullen gibt, kommt nicht oft vor. Den seltenen Anlass bieten nun die Querelen zwischen Russland und Georgien. Hatte das russische Parlament nach Tiraden eines georgischen TV-Moderators scharfe Sanktionen gefordert, die praktisch Georgiens gesamte Exportwirtschaft getroffen hätten, war es der Kremlchef, der zurückruderte und beteuerte, sich nicht auf die Provokationen eines »Dreckssacks« einlassen und aus Respekt vor dem georgischen Volk von Sanktionen Abstand nehmen zu wollen. Die angeschlagenen Beziehungen zu flicken sei wichtiger, als auf Provokationen zu reagieren.

Der jüngste Anlass in den Spannungen zwischen den beiden Staaten ist die Aussage des TV-Journalisten Giorgi Gabunia vom vergangenen Sonntag. Der hatte Putin im Hauptabendprogramm als »stinkenden Okkupanten« und »Walrossfotze« bezeichnet, auf dessen Grab er »scheißen« wolle. Aussagen, die auch in Georgien auf sehr geteilte Meinungen stießen, Proteste provozierten und den Ruf nach einem sofortigen Rücktritt Gabunias laut werden ließen - sowohl vonseiten des georgischen Staates als auch von der Straße.

Anlass für die Tirade war eine von Putin abgesegnete Unterbrechung der direkten Flugverbindungen zwischen den beiden Staaten. Die wiederum war eine Reaktion auf eine Serie von Anti-Putin-Protesten in Tiflis, die sich am Besuch des Dumaabgeordneten Sergej Gawrilow im georgischen Parlament entzündet hatten. Und da vor allem an einem Umstand: Gawrilow hatte bei einer Rede den Sitz des Parlamentspräsidenten eingenommen.

Die anhaltenden Proteste aber haben längst weniger Russland als die georgische Regierung im Visier, vor allem Innenminister Giorgi Gakharia, dessen Ressort für die gewalttätige Niederschlagung der ersten Proteste verantwortlich war. Die Polizei hatte mit Gummigeschossen in die Menge gefeuert.

Was diese Proteste ebenso wie die Aussagen des TV-Journalisten Gabunia aber auch gezeigt haben ist: Putin hat Rückhalt in Teilen der georgischen Bevölkerung. Nach den Demonstrationen einer eher gebildeten, westlich gesinnten, urbanen Mittelschicht machen nun Russland-freundliche Kräfte in Georgien mobil. In größerer Zahl offen zu erkennen gaben sie sich erstmals am vergangenen Montag, als in Tiflis die Gay Pride abgehalten werden sollte. Putin-freundliche und schwulenfeindliche Gruppen demonstrierten dagegen.

Georgiens Regierung ist in einer Zwickmühle. Das Land hat ein Assoziierungsabkommen mit der EU ratifiziert. Der erste Auslandsbesuch von Premier Mamuka Bakhtadze vor genau einem Jahr führte denn auch nach Brüssel. Nachgesagt wird seiner Partei Georgischer Traum aber eine Nähe zu Russland. Was in Georgien aber immer mehr zum Thema wird: Das EU-Assoziierungsabkommen ist zwar in Kraft, wirkt sich aber wirtschaftlich noch kaum merkbar aus, was den Ruf nach einer Beilegung des Konfliktes mit Russland laut werden lässt.

Da besteht aber ein riesiges Hindernis: Russland hat die abtrünnigen Gebiete Südossetien und Abchasien als Staaten anerkannt, russische Truppen sind dort stationiert - und damit auf georgischem Gebiet ohne die Zustimmung Tiflis. Der Konflikt um diese Regionen ist keineswegs eingefroren. Immer wieder kommt es zu Grenzverschiebungen vor allem um die Region Südossetien, deren Südgrenze bereits beinahe direkt an die wichtigste West-Ost-Straßenverbindungen Georgiens heranreicht. Eine Anerkennung der abtrünnigen Gebiete und der russischen Besatzung ist aus Sicht Tiflis kaum denkbar.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.