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»Es wird wieder geschehen«

Das Dortmunder Bündnis »Tag der Solidarität« fordert die Aufklärung aller ungeklärten Fragen im NSU-Komplex

  • Dennis Pesch
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein kleines rotes Zelt steht direkt vor den Katharinentreppen am Dortmunder Hauptbahnhof. Tausende Menschen gehen hier jeden Tag vorbei, wenn sie in die Innenstadt oder in den Hauptbahnhof wollen. In der Mitte, am Vorplatz der Katharinentreppen, steht heute eine kleine Ausstellung zum NSU-Komplex. Der 11. Juli ist der Jahrestag des Urteils aus dem fünfjährigen NSU-Prozess, der gegen fünf Personen des rechtsterroristischen Netzwerkes geführt wurde.

Das ist viel zu wenig, sagen die Angehörigen, Organisatoren und Teilnehmer der Kundgebung vom Dortmunder Bündnis »Tag der Solidarität«. Viele Passanten laufen teilnahmslos an der Kundgebung und Ausstellung vorbei, viele bleiben aber auch stehen, lassen sich Flyer in die Hand drücken, diskutieren, fragen nach. Manche wissen vom NSU-Komplex, andere hören zum ersten Mal davon. Am roten Zelt hängen auf laminierten Zetteln die Fotos und Namen der zehn vom NSU ermordeten Opfer: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michelle Kiesewetter.

Über die Lautsprecher werden wiederholt die Forderungen der Betroffenen und Angehörigen der NSU-Anschläge abgespielt, zum Beispiel von Elif Kubaşık, der Witwe des Dortmunder Kiosk-Besitzers Mehmet Kubaşık. Zum Ende des NSU-Prozesses im letzten Jahr sagte sie: »Ich würde nicht sagen, dass mir das Verfahren großes Vertrauen eingeflöst hat, weil so viele Fragen, die ich hatte, sind nicht beantwortet, nicht aufgeklärt. Jeder will sich einfach aus der Sache retten, in dem man sagt, die fünf sind bestraft und die Sache ist vorbei und das darf nicht sein.«

Aus solchen Forderungen resultierte auch die Kampagne »Kein Schlussstrich«, die mit der Ausstellung und Kundgebung weiter fortgesetzt wird. Kubaşıks Fragen sind unmissverständlich: »Wer hat denen denn geholfen? Wer war denn alles dabei? Wer hat die unterstützt? Was war ihr Netzwerk, wie groß war ihr Netzwerk? Wer sind die Informanten? Welche staatlichen Stellen wussten Bescheid?« Auch ein Jahr nach dem Urteil ist keine dieser Fragen beantwortet worden.

Deshalb steht auch Ekin Genc vom Bündnis »Tag der Solidarität« hier. Hinter einem kleinen Tisch führt er Gespräche mit Passanten, verteilt Flyer, gibt Interviews. Seit mehreren Jahren engagiert er sich für die Aufklärung des NSU-Komplexes. Für Betroffene, Angehörige und Opfer-Familien sei das Ende des NSU-Prozesses ein Schritt zurück gewesen: »Mit diesem Prozess ist ein fatales Zeichen nach Außen gesendet worden. Wir haben schon während des ganzen Prozesses gesagt, dass es in die falsche Richtung geht und es dann schlimmer wird mit dem Rechtsextremismus.«

Dass sich die rechtsterroristischen Strukturen bestärkt fühlen, zeigt auch, dass kurz vor dem ersten Jahrestag des Urteils in der migrantisch geprägten Dortmunder Nordstadt Schmierereien von »Combat 18« auftauchten. Auf den Boden sprühten die Täter unter anderem auch »NSU«, eine unverhohlene Morddrohung. »Man kann eine rechtsextreme Untergrundorganisation nicht einfach so weiter bestehen lassen. Ihr Ziel ist es, Menschen zu ermorden, Migranten zu verjagen, Muslimen Angst zu machen und für Angst in Deutschland zu sorgen«, sagt Genc.

Auch durch den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) durch den mutmaßlichen Täter und Neonazi Stephan E. sieht sich Genc bestätigt. »Wenn man die Untergrundzellen einfach so weiter machen lässt, den Verfassungsschutz einfach so weiter machen lässt, dann werden solche Morde wieder geschehen.« Dass die Behörden dabei wiederholt auf die Einzeltäter-Theorie zurückgreifen, habe fatale Folgen für bestimmte Menschen: »Vor allem Migranten, vor allem für Menschen, die sich politisch gegen Rechts engagieren. Die müssen mit ihrem Leben dafür bezahlen. Das sind keine Einzeltäter. Das ist ein organisiertes, politisches Verbrechen.« Auf den Staat kann sich Genc nicht mehr verlassen: »Der Staat hat uns schon beim NSU im Stich gelassen«, sagt er.

Keinen Schlussstrich zu ziehen, ist dabei nicht nur ein Motto für einen Flyer: »Wir werden so lange weiter machen bis die Fragen der Angehörigen beantwortet werden.« Eine Aufgabe besteht derzeit zum Beispiel darin, das schon vorhandene Wissen auch an kommende Generationen weiter zu vermitteln: »Wir wollen Stadtrundgänge machen, um über den NSU aufzuklären und erzählen, was in dieser Stadt passiert ist.« Dafür ist auch die heutige Ausstellung gedacht. Jährlich gedenkt das Bündnis »Tag der Solidarität« zudem am 4. April mit einem Schweigemarsch Mehmet Kubaşık, wie auch im nächsten Jahr wieder.

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