Kritische Zusatzinformationen nicht strafbar

Freispruch für Atomkraftgegner: Sie sollen Gedenktafel für Wissenschaftler mit Widmung versehen haben

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Weil sie eine Gedenktafel am früheren Göttinger Wohnhaus des Atomwissenschaftlers Robert Oppenheimer mit einem kritischen Zusatzplakat versehen haben sollen, mussten sich zwei Atomkraftgegner aus der Universitätsstadt vor dem örtlichen Amtsgericht verantworten. Das Verfahren gegen Annette und Mohan R. endete gestern mit Freisprüchen.

Dem Ehepaar - die 62-jährige ist in der Göttinger Anti-Atom-Initiative aktiv, ihr 65 Jahre alter Mann sitzt für die Piraten im Göttinger Kreistag - war eine Aktion vom vergangenen Jahres zur Last gelegt worden. Am 6. August 2018, dem Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, sollen sie ein Plakat mit dem Spruch »Hunderttausend Tote bedanken sich für ihre Forschung« neben der Gedenktafel angebracht haben. Das Gebäude, in dem Oppenheimer während seines Studiums in Göttingen 1925 und 1926 lebte, beherbergt heute eine katholische Schule.

Der Hausmeister der Schule, der die beiden Atomgegner unmittelbar nach der Tat mit einer Leiter in der Hand beobachtet haben will, zeigte das Paar wegen Hausfriedensbruchs an. Die Polizei ermittelte, die Staatsanwaltschaft sah den Tatbestand aber nicht als gegeben an, weil das Schulgebäude nicht umzäunt sei.

Stattdessen nahm sich die Stadt der Sache an und verschickte Bußgeldbescheide wegen unerlaubten Plakatierens in Höhe von je 75 Euro - eine Ordnungswidrigkeit. Da die Beschuldigten dagegen Widerspruch einlegten, musste das Gericht entscheiden. Die Verteidiger hatten zuvor die Satzung der Stadt Göttingen studiert, auf die sich die Verwaltung bei ihrem Vorwurf bezog. Die Satzung bestimme nicht ausreichend ihren eigenen Geltungsbereich. So bleibe unklar, ob das Verbot »wilden« Plakatierens auch private Gebäude betreffe. Und damit auch die katholische, also nicht öffentliche Schule. Der Anwalt Rasmus Kahlen warf gar die Frage auf, ob das Anbringen der Gedenktafel durch die Stadt gegebenenfalls nicht auch als Ordnungswidrigkeit zu werten sei.

Richter Julian Oelschlägel unterbrach die Verhandlung und zog sich zum Studium der Satzung zurück. Um nach der Pause die Freisprüche zu verkünden. In der Tat sei der Geltungsbereich der Satzung nicht ausreichend bestimmt, sie gelte wohl »eher für öffentliche Gebäude«. Oelschlägel verband das Urteil mit dem Appell an die Stadt, bei der Satzung nachzubessern.

Die beschuldigten Atomkraftgegner äußerten sich in der Verhandlung nicht zum Tatvorwurf. Sie verlasen aber Erklärungen, die sich mit Oppenheimer kritisch auseinander setzten. Der Wissenschaftler war ab 1942 Leiter des »Manhatten-Projekts« zur Entwicklung der US-Atombombe. In den offiziellen Biografien mutierte er später zum erklärten Gegner von Nuklearwaffen. Von dem Bau einer Wasserstoffbombe riet er demnach ab. In der McCarthy-Ära wurde ihm Sympathie für den Kommunismus vorgeworfen und die Sicherheitsberechtigung entzogen. Er blieb von geheimen Regierungsprojekten ausgeschlossen.

Annette und Mohan R. wiesen darauf hin, dass Oppenheimer die Entscheidung mitgetragen habe, die Bombe ohne Vorwarnung auf Japan abzuwerfen. Er habe für das Militär auch die Höhe für die Zündung berechnet, damit sie eine maximale Zerstörung verursache. Statt der Entwicklung der H-Bombe habe er später die Stationierung kleiner taktischer Atomwaffen in Europa verlangt. »So einer Person eine Ehrentafel an einer Schule zu widmen, ist mehr als fragwürdig«, sagte Mohan R. »Vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass Göttingen seinen Rathausplatz ganz in der Nähe der Schule nach Hiroshima benannt hat - zur Mahnung und zum Gedenken.«

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