Die Revolution hieß Louise

Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers und Journalisten Jörg Fauser

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 5 Min.

Jörg Fauser hielt sich selbst für ein mittelmäßiges Talent. Wenn das wirklich stimmt, dann hat er sein Defizit zumindest wett- und allemal vergessen gemacht - mit manischem Ehrgeiz, obsessivem Spaß am Produzieren und eiserner Disziplin. «Er war einer der wenigen Autoren, die ich kenne, der wirklich morgens um sieben Uhr dreißig aufgestanden ist, sich an den Schreibtisch gesetzt und geschrieben hat», erinnert sich die Fassbinder-Schauspielerin Y Sa Lo. «Er war keiner von denen, die schreiben, wenn ihnen was einfällt, sondern er hat einfach geschrieben, von morgens bis abends, jeden Tag.»

So hat er sich in nur wenigen Jahren eine Professionalität erarbeitet, von der alle schwärmen, mit denen er zusammen gearbeitet hat. Er war schnell, meistens gut, manchmal brillant, und er konnte, wie Harry Rowohlt ihm attestiert, «alles schreiben»: Drehbücher, Hörspiele, Gedichte, Polemiken, Literaturkritiken, Reportagen, Short Stories, Romane, Songtexte - und wenn für ein «Yps»-Heft noch ein paar Sprechblasen zu füllen waren, dann hat er auch das noch gemacht. Der Mann war sich einfach für nichts zu schade. Jedenfalls hatte er keine Berührungsängste gegenüber populären Genres. Die «Kopf- und Zopfwelt» des bürgerlichen Kulturbetriebs konnte ihn dagegen anständig in Rage bringen. Werner Mathes, der Fauser Anfang der 80er Jahre als Pauschalist zum Berliner «Tip» holte, macht dafür den «Reflex des Zurückgestoßenen» verantwortlich. «Er wollte schon eine Nummer im Betrieb sein, ganz sicher. Und als der ihm diesen Gefallen nicht tat, bekam er es mit Fauser zu tun.» Seine Vorbildstellung in den subkulturellen Szenen resultiert denn wohl auch aus dieser Apostaten-Pose und nicht allein aus den unbestreitbaren Qualitäten seiner Prosa. Hier hatte es einer geschafft, sich außerhalb der Klüngel oder sogar, so schien es jedenfalls, gegen ihren Widerstand zu etablieren - kann es eine noch attraktivere Schriftstellerphysiognomie für einen jungen Autor geben?

Aber in einen großen Kopf passen viele Widersprüche. Und so lässt er sich, obwohl er nicht müde wird, gegen den «Gesinnungsterror der etablierten Gremienkultur» zu wettern, in Talkshows einladen, bei Enzensbergers Edelpostille «Transatlantik» als Redakteur anstellen und nimmt sogar am Ingeborg-Bachmann-Wettlesen teil. Das sind die Widersprüche dessen, der kein geschlossenes Weltbild hat und schon gar keine Ideologie, der keine Gewissheiten kennt, der nichts gelten lässt als die Welt da draußen und die Erfahrungen, die man in ihr gefälligst zu machen hat. So kann er immer nur von Fall zu Fall entscheiden. Fauser ist schon irgendwie ein Linker, bezeichnet sich selbst als «Kultur-Proletarier», aber eben ohne jede Religiosität und also auch Erlösungshoffnung. Sein Pragmatismus lässt den Ex-Kommunarden schließlich in die SPD eintreten und regelmäßig die 8. Abteilung des Kreisverbands Schöneberg besuchen, was vor einem Vierteljahrhundert vielleicht noch nicht ganz so peinlich war wie heute, aber auch schon - und er hat das durchaus gesehen und in «Der Weg nach El Paso» hübsch beschrieben: «Also, liebe Freunde, nächsten Sonntag ist es mal wieder so weit - unser Preisskat steht ins Haus (...)»

So richtig hat er auch hier nicht dazu gehört, wie schon eine Dekade zuvor nicht: «Die Revolution hieß Louise, / hatte unglaublich schmale Hüften / blitzende Augen, flatterndes schwarzes / Haar, kam aus Paris / und war Trotzkistin», schreibt er im Titelgedicht seines zweiten Lyrikbandes «Trotzki, Goethe und das Glück». Viel mehr war da nicht. Ein bisschen Hausbesetzung noch.

So einer bleibt stets ein unsicherer Kantonist und immer auch für einen Ausfall gut - gegen die «Tränendrüsenpolitik» der Grünen, gegen träumende Post-68er, kommunistische «Schlagwortproduzenten» etc. Aber gelegentlich fasst man sich schon an den Kopf und fragt sich, ob er jetzt wirklich nur den Advocatus Diaboli spielt: Wenn er etwa in einer seiner berüchtigten «Tip»-Kolumnen die Suche der US-Truppen nach vermissten GIs verteidigt und die Linke ins Gebet nimmt, ja nicht «Begriffe wie Patriotismus, Kameradschaft, Treue, Mut, Ehre, Würde, Nation, Kampf etc. preiszugeben», dann wird er selbst zum Schlagwortproduzenten. Und wenn der ehemalige Wehrdienstverweigerer dann auch noch den Fahneneid leistet, kann man das kaum noch ernstnehmen: «Ich zolle jedem Mut Respekt, auch dem des Söldners und Abenteurers, so wie ich jeder Fahne die Ehre, die ihr gebührt, erweise - Blut ist für alle geflossen.»

Was reitet ihn da? Vermutlich die Empathie für den Mann - und es ist bei ihm immer der Mann - an vorderster Front, der sich in Gefahr begibt, der echte Erfahrungen sammelt, ein Mann also, der er selber war, als er sich in Istanbul, im Tophane-Slum, so viel Junk in die Venen pumpte, bis er schließlich nur noch 45 Kilo wog und seine eigene Mutter ihn nicht wiedererkannte. William S. Burroughs, den er in London für eine Reportage über die harten Drogen trifft, rät ihm zum Entzug mit Apomorphin, einem Brechmittel. Und er schafft es tatsächlich. Für seinen Freund Carl Weissner eine «der großen Erfolgsgeschichten der Szene».

Das ist die Lektion, die man so gründlich, zumindest in der deutschen Literatur, wohl nur bei ihm lernen kann: nämlich, «dass es keinen Unterschied zwischen dem Schreiben und dem Leben gibt», weil «das Leben, sofern es würdig ist, zum Schreiben führt, und das Schreiben, sofern es wahrhaftig ist, zum Leben». Am augenfälligsten manifestiert sich Fausers ästhetisches Programm in dem autobiographischen Roman «Rohstoff», diesem melancholischen Generationsporträt und warmherzigen Rückblick auf die eigenen schriftstellerischen Anfänge. Aber es prägt das gesamte Werk, schon die frühen Cut-up-Suchtprotokolle, die großartigen literarischen Reportagen, die Blues-Gedichte, und schließlich auch die hartgekochten Kriminalromane, die ihn dann zum Erfolgsautor machen.

«Wir sind dazu da, um zu schreiben. Zu nichts anderem», hat er seinem Kollegen und Freund Michael Köhlmeier mal gesteckt. Wenn er nicht an jenem ominösen 17. Juli 1987 besoffen über die Autobahn gegangen wäre - was hätte Fauser wohl noch alles geschrieben?

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