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Mädchen der Sonne
In Berlin beginnt heute das 9. Kurdische Filmfestival. »Weibliche Perspektiven« bilden einen Schwerpunkt
Ein wütender Vater jagt in einem kurdischen Dorf dem Liebhaber seiner Tochter nach. Dieser kann auf der Flucht gerade noch seinen mit Linsenbüscheln behafteten Hut ergreifen. So sieht es für die erstaunten Dorfbewohner so aus, als jage der Alte dem Jungen wegen eines Linsenbündels hinterher. Das ist die Geschichte hinter dem kurdischen Sprichwort: »Wer es weiß, versteht es - wer es nicht weiß, für den ist es nur ein Linsenbündel.«
In dem Schweizer Spielfilm »Linsenbündel« fühlt sich der junge kurdische Flüchtling Aldar (Aldar Abdala) in seinem neuen Alltag in der Schweiz ständig an diesen Spruch erinnert. Er versteht die Codes des Zusammenlebens in der westlichen Gesellschaft nicht, nimmt vieles buchstäblich, wodurch es zu Missverständnissen kommt. Vor allem die Kontaktaufnahme zu Frauen fällt ihm schwer.
»Linsenbündel« ist einer der Spielfilme, die im Rahmen des 9. Kurdischen Filmfestivals Berlin gezeigt werden, das seit 2002 vom Verleih mîtosfilm in Kooperation mit dem Sprachenatelier Berlin veranstaltet wird. Das Festival sieht sich als Plattform für Gespräche und kurdische Filmemacher aus aller Welt.
So veranschaulicht der Film »Linsenbündel« - zuweilen durchaus komisch - einen Clash von Kulturen und Mentalitäten, betrachtet seinen naiven Helden aber immer voller Sympathie, auch wenn er kein Fettnäpfchen auslässt. Am Ende des mit traditioneller Musik unterlegten Films wird dieser moderne Candide sich besser zurechtfinden, nicht zuletzt durch die Hilfe einer Prostituierten.
Auch die Protagonisten des lehrreichen Dokumentarfilms »Traces« befinden sich im Exil: in einem Dorf in Armenien. Sie sind kurdische Jesiden, die ursprünglich aus Kars (heute in der Türkei) stammen. Obwohl sie seit Generationen in Armenien leben, betrachten sie Kurdistan immer noch als ihre Heimat. Im Osmanischen Reich wurden sie verfolgt und ermordet, zum Teil von ihren eigenen kurdischen Landsleuten, die zum Islam übergetreten waren. Die kurdischstämmige belgische Regisseurin Binevsa Bêrîvan filmt die Gebete und Bräuche der jesidischen Dorfbewohner und stößt als Muslimin dabei manchmal auf Misstrauen.
Der Film, der 2006 vor dem Genozid der Jesiden durch den IS in Syrien gedreht wurde, zeigt auch, wie sehr jesidisches Leben in Armenien vom Aussterben bedroht ist. So sind beispielsweise alle jüngeren Bewohner des Dorfes zum Arbeiten nach Russland gezogen. In Armenien hat man die Jesiden als Minderheit geschützt. In Jerewan gibt es sogar noch aufrechte Aktivisten, die das kurdischsprachige Radio mit der jesidischen Musik am Leben erhalten - auch wenn es nur eine Rettung auf Zeit ist.
Wie die Zeit dagegen das Bild und die Rolle von kurdischen Frauen verändert hat, präsentiert der Festivalschwerpunkt »Weibliche Perspektiven«. Diverse Spiel- und Dokumentarfilme zeigen Kurdinnen zu Friedens- und Kriegszeiten, in kurdischen Gebieten selbst oder in der Diaspora, als Familienfrauen oder Kämpferinnen. Als Eröffnungsfilm wird am 1. August Eva Hussons Spielfilm »Girls of the Sun« gezeigt, der vor einem Jahr in Cannes lief. Darin freundet sich eine französische Reporterin während des syrischen Bürgerkriegs mit einer kurdischen Kämpferin und Ex-Juristin an, die ihren verschleppten kleinen Sohn wiederfinden will. In der physisch und psychisch angespannten Situation kämpfen sie gemeinsam gegen Erschöpfung, Verzweiflung und Kummer.
Dass auch in Berlin Filme mit kurdischem Bezug gemacht werden, beweist ein Klassiker der sogenannten Berliner Schule, »En garde« (2004). Darin erzählt die kurdischstämmige Regisseurin Ayşe Polat von einer Mädchenfreundschaft in einem Erziehungsheim: Die introvertierte Alice freundet sich mit der lebenslustigen Kurdin Berivan an. Berivan hat ihre Familie verloren und setzt all ihre Hoffnungen auf die Annahme ihres Asylverfahrens. Dabei muss sie ihren kurzen Zwischenstopp in Rumänien vor den Behörden verheimlichen, da man sie sonst dorthin zurückschicken würde. Wie Traumata, garstige Mitbewohnerinnen und Eifersucht diese zarte Freundschaft gefährden, schildert der Film, indem er auf beide Protagonistinnen die titelgebende Fechtmetapher anwendet, die ständige Wachsamkeit anmahnt.
Dass die militärische Auseinandersetzungen in Syrien auch Familien im Südosten der Türkei auseinanderreißen, zeigt schließlich der sehr persönliche Dokumentarfilm »Diyalog« von Selim Yýldýz. Mit seiner Mutter Besna begibt sich der Filmemacher auf eine lange, beschwerliche Reise, um den verlorenen Sohn der Familie wiederzusehen, der sich einer kurdischen Kampfeinheit angeschlossen hat. Seit neun Jahren sehnt sich Besna nach ihrem geliebten Ältesten und nimmt Hitze, Mühsal und Entbehrungen der Reise sowie etliche Rückschläge auf sich, um sich ihren großen Wunsch zu erfüllen. Der nie effektheischende Film beobachtet auch das stille, einfache Leben von Besna und ihrem Mann in einem armen, bescheidenen Dorf, in dem sie ohne Elektrizität und fließendes Wasser leben und ihre Bräuche wahren.
Zwar ist es für ein westliches Publikum nicht immer einfach, sich in die verschiedenen Facetten kurdischen Lebens einzufinden. Doch die Filme tragen dazu bei, dass man allmählich ein klareres Bild hinter dem sprichwörtlichen kurdischen Linsenbündel erkennt.
Vom 1. bis 7. August, in den Berliner Kinos Babylon-Mitte und Moviemento. www.kurdisches-filmfestival.de
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