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- Bedingungsloses Grundeinkommen
Wovon Manager träumen
Die Entkopplung von Arbeit und Einkommen könnte den Unternehmen große Einsparpotenziale eröffnen.
Die Digitalisierung gilt derzeit als die große gesellschaftliche Herausforderung. Sie eröffnet Chancen, so heißt es, birgt aber auch große Risiken. Zum Beispiel die menschenleere Fabrik, das menschenleere Büro. Denn übernehmen erst die Automaten die Arbeit, verlieren die Menschen ihre Jobs und damit ihre Einkommen. An die Politik ergeht daher die Forderung, Arbeit und Einkommen zu entkoppeln - durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE). Hinter dieser Idee versammeln sich nicht nur Linke, sondern auch Vertreter der Konzerne. Allerdings verfolgen beide verschiedene Ziele.
Die menschenleere Fabrik
Aktuell ist die offizielle Arbeitslosenrate in Deutschland zwar so niedrig wie zuletzt 1980, an die verbleibenden 2,3 Millionen erwerbslosen Menschen hat man sich gewöhnt. Digitalisierung und Automatisierung der Produktion könnten jedoch zu neuer Massenarbeitslosigkeit führen. Im Ergebnis sähe sich ein Heer von Arbeitslosen großen Reichtümern gegenüber, von denen es getrennt wäre. Die Gesellschaft teilte sich in Abgehängte auf der einen Seite und auf der anderen Seite eine kleine Elite, bestehend aus den Eigentümern der Maschinen sowie jenen, die die neue Technik entwickeln und steuern. Der Sozialstaat könnte dieses Problem nicht bewältigen, da er sich finanziert aus Abzügen einer sinkenden Lohnsumme, während der Bedarf an Leistungen stiege.
Das BGE soll helfen, diesen Gegensatz zu heilen: Es garantiert jedem und jeder eine feste Summe Geld, ein Leben lang, ohne Wenn und Aber. Finanziert wird es aus Steuermitteln, wobei die Ideen, woher diese Mittel kommen, weit auseinander gehen. Linke loben das emanzipatorische Potenzial des Grundeinkommens. Es würde die Menschen unabhängig machen, ihnen Sicherheit geben, es würde den Zwang zur Arbeit mildern und die Verhandlungsposition der Lohnabhängigen gegenüber den Unternehmen stärken. Die Verteilung des Reichtums wäre nicht länger ein Ergebnis des Marktes, sondern gesellschaftliche Entscheidung.
Existenzsicherheit für alle, das halten viele Ökonomen für Sozialromantik. Ein Grundeinkommen sei zu teuer, sagen sie, und eine Wirtschaft ohne Zwang nicht möglich. Für das BGE erwärmen sich allerdings inzwischen auch Manager wie Telekom-Chef Timotheus Höttges, Siemens-Chef Joe Kaeser sowie die Initiative »Wirtschaft für Grundeinkommen«, in der sich einige Unternehmer zusammengefunden haben: Banker und Risikokapitalinvestoren gehören dazu, Gründer von Internet-Start-ups, aber auch der früher als neoliberal kritisierte Ökonom Thomas Straubhaar.
Laut Siemens-Chef Kaeser wird »eine Art Grundeinkommen völlig unvermeidlich sein«. Denn die deutschen Unternehmen müssten in Digitalisierung investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das erhöht den Druck auf die Beschäftigten, und es sei zu erwarten, dass »einige auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mitkommen«. Selbst wenn die vermehrte Digitalisierung nicht zu Arbeitsverlusten führen werde, so die Unternehmer-Initiative für das BGE, so sei »anzunehmen, dass Arbeit künftig weniger Einkommen generieren kann«.
Was die unternehmerischen BGE-Befürworter hier äußern, ist nicht weniger als die Ankündigung, dass in Zukunft der Lohn nicht länger als Lebensmittel der Beschäftigten taugt. Grund dafür ist weniger die »Geschwindigkeit auf der Welt«, sondern die Unvereinbarkeit der Bedürfnisse der Lohnabhängigen mit dem Betriebszweck: Um den Gewinn zu sichern, wird der Lohn per Digitalisierung und Automatisierung so weit reduziert, bis er für die Masse nicht mehr reicht. Bei dieser Reduktion erwarten die Unternehmer offenbar keine Gegenwehr.
Das BGE soll also erstens den Lohn von der Aufgabe befreien, den Lebensunterhalt der Beschäftigten zu finanzieren. Zweitens spart es den Unternehmen Lohnausgaben, schließlich erhält ja jeder und jede schon ein Grundeinkommen und daher kann »die Arbeit der einzelnen Menschen für Arbeitgeber weniger kosten«, so die Initiative. Drittens »dient ein Grundeinkommen der Gesundheit« und »schützt vor psychischen Problemen«, was Gesundheitskosten spart und »zu besseren Arbeitsergebnissen führt«. Das BGE macht laut Unternehmer-Initiative viertens den »gesetzlichen Mindestlohn überflüssig«, und »es braucht weniger gesetzlichen Kündigungsschutz«. Zudem »können Bürokratie und Regel-Dschungel abgebaut werden«.
Die Beschäftigten würden so vollständig verfügbar für die wechselnden Bedürfnisse der Unternehmen: »Das System des Grundeinkommens ist gemacht für die Beschäftigten der Zukunft, für das Digitalzeitalter, wo Wechsel, Brüche, Auszeiten im Erwerbsleben dazugehören«, wirbt der Ökonom Straubhaar, der die Menschen »so motivieren will, dass sie über ein immer längeres Leben immer produktiver Wertschöpfung generieren können.«
Eine Win-win-Situation?
Und schließlich soll das BGE auch noch das Problem der Unternehmer lösen, dass sie zum Wohle des Gewinns Lohnkosten ständig reduzieren, gleichzeitig aber die Kaufkraft der Massen brauchen, um ihre Gewinne auch zu realisieren: Als zahlungsfähige Nachfrage soll das Grundeinkommen den Lohn ablösen. »Win-win für ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen.«
Dass Unternehmen die Lohnsumme so weit drücken, dass sie nicht länger den Lebensunterhalt der Massen bestreitet - dieses Problem geben die Unternehmer also an die Gesellschaft zurück und widmen sich der Frage der Finanzierung des BGE. Telekom-Chef Höttges könnte sich die »Besteuerung der Gewinne großer Internet-Konzerne« als Quelle vorstellen, also die Gewinne von US-Konzernen. Siemens-Chef Kaeser schlägt die »maximale Besteuerung« des Hochfrequenz-Börsenhandels vor nach dem Muster: Wenn schon die kapitalistische Produktion nicht länger den Lebensunterhalt der Massen sichert, so kann das doch die Spekulation auf diese Produktion leisten.
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