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»Und keiner von uns sagte nein«
Wie schreibt man einen Roman über die Henker der Geschwister Scholl? Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Martin Beyer
Herr Beyer, hätten Sie mit den heftigen Reaktionen gerechnet, als Sie Ihren neuen Roman »Und ich war da« beim Wettbewerb in Klagenfurt vorstellten? Er handelt von einem Nazi-Henker. Der Juryvorsitzende beim Bachmann-Preis, Hubert Winkels, urteilte, es handelt sich um einen Text, »der so nicht geschrieben werden darf«. Die »Süddeutsche Zeitung« unterstellte Ihnen, Sie hätten »die Übersetzungs- und Filmrechte beim Schreiben schon mitgedacht«.
Nun ja, gerechnet habe ich nicht damit. Und es ist auch nicht so, dass ich bewusst eine Kontroverse heraufbeschwören wollte, damit sich etwa die Filmrechte gut verkaufen lassen. Ich war mir aber dessen bewusst, dass ich in Klagenfurt eventuell nicht nur Zustimmung ernten würde, da ich in meinem Roman die Perspektive eines Jedermanns wähle, der nicht die Kraft oder den Mut findet, den vorgezeichneten Weg zu verlassen, und der dadurch zu einem Täter, zu einem Handlanger wird. Diese beschränkte und gebrochene Perspektive ist für mich aber nicht anstößig, es ist schließlich die Perspektive von Hunderten, von Tausenden zu dieser Zeit.
Nun soll der Text zwar für sich sprechen. In Klagenfurt haben Sie lediglich einen Auszug aus Ihrem Roman gelesen. Was würden Sie der Jury sowie den Kritikerinnen und Kritikern der Feuilletons gerne erwidern?
Ich habe die Hoffnung, dass der Roman als vollständiges Bild eine andere Beurteilung erfährt. Geschildert wird hier, wie der Protagonist August Unterseher am Ende seines Lebens ins Erzählen kommt und einen Umgang mit seiner Schuld findet. Diese Dimension konnte ich in Klagenfurt nicht zeigen. Dennoch stehe ich zu dem Kondensat und der Darstellung der Hinrichtung von Sophie und Hans Scholl sowie von Christoph Probst. Ein wichtiger Impuls für den Roman war die Sichtung der Hinrichtungsprotokolle. Dort werden alle Beteiligten namentlich erwähnt, nur nicht die Gehilfen des Scharfrichters Johann Reichhart. Einen solchen Gehilfen wollte ich greifbar machen: Wie kommt es, dass ein junger Mensch, im selben Alter wie Hans Scholl, auf der Seite der Henker steht und nicht aufseiten des Widerstands?
Sie würden den Roman heute wieder so schreiben?
Selbstverständlich. Ich habe vier, fünf Jahre mit August Unterseher verbracht. Viele Entscheidungen, wie ich seine Geschichte erzähle, haben eine lange Zeit in Anspruch genommen. Dass ich konsequent bei seiner Per-spektive geblieben bin, ist für mich auch heute noch wichtig und richtig. Dadurch wird ja nichts, was August Unterseher getan hat, entschuldigt oder gerechtfertigt. Die gewählte Perspektive stellt eher Fragen, als dass sie Antworten gibt, eine zentrale Frage ist für mich: Was hättest du getan?
»Wie kommt es, dass der eine Widerstand leistet, während der andere zum Mitläufer wird?«, schreibt auch der Verlag über den Roman. Soll uns der Roman oder die Figur des Henkersgehilfen August Unterseher in Zeiten des Rechtsrucks in Deutschland und der Orbanisierung Europas etwas sagen?
Es ist ein Roman, und nach meinem Verständnis kann ein literarischer Text jedem etwas anderes sagen. Ich kann nur von mir ausgehen, und für mich beinhaltet die gerade erwähnte Frage: »Was hättest du getan?« Genauso die Frage: »Was tust du heute?« Der Titel des Romans »Und ich war da« spielt auf ein Gedicht von Peter Rühmkorf an, und in diesem Gedicht findet sich die Zeile: »Und ich war da und da warst auch Du/ Und keiner von uns sagte nein.« Das finde ich hochaktuell, wir leben in einer Zeit, in der es eminent wichtig ist, Nein zu sagen und das zu verteidigen, was wir uns gerade im Anschluss an das Unrechtssystem des nationalsozialistischen Deutschlands aufgebaut haben: eine freiheitliche, demokratische Grundordnung.
Würden Sie Ihren Roman in diesem Sinn als »engagierte Literatur« bezeichnen?
Vielleicht insofern, als der Roman jemanden vorführt, der sich nicht engagiert, jemanden, der zu feige ist, Nein zu sagen. Nicht zu handeln ist auch ein politischer Akt. Dadurch kannst du zu einem Täter werden. Das galt zur Zeit August Untersehers, und das gilt genauso heute.
Der Mittelteil des Romans besteht aus Klartraumsequenzen, in denen der Protagonist den Russlandfeldzug der Wehrmacht, der ihn traumatisiert hat, durch Autosuggestion erneut durchlebt. Wie haben Sie sich der Methode angenähert?
Ich habe lange nach einem Weg gesucht, wie ich die Passagen der Kriegserlebnisse in Russland schreibe. Das Klarträumen war für mich ein zweifacher Schlüssel zur Lösung dieses Problems. Einerseits habe ich mich selbst mithilfe dieser Technik mit solchen Szenarien auseinandergesetzt. Das Klarträumen erlaubt es einem, seine Träume bewusst zu erleben und auch zu beeinflussen, sodass es möglich ist, sich in bestimmte Räume und Zeiten zu begeben. August Unterseher nutzt andererseits im Roman diese Technik, um sich seinen Erlebnissen noch einmal bewusst zu stellen - und sie dadurch erzählbar zu machen.
Welche besonderen Herausforderungen bei der Recherche und der Niederschrift des Romans gab es noch?
Etliche! Es ist ja ein relativ schmaler Band geworden, und ich habe wirklich lange dafür gebraucht. Es ist aufwendig, einen Zugang zu dieser Zeit zu finden und zur Psychologie der Figuren - wobei ich aber auch sagen muss, dass ich diesen freieren Umgang mit dem historischen Material, den ich mir als Romanautor leisten kann, durchaus schätze. Man muss nur aufpassen, dass man nicht den Spuren von Spuren von Spuren nachgeht - und irgendwann wieder auf den Hauptweg der Erzählung zurückfindet. Ein Historiker macht vielleicht vieles ähnlich und muss doch anders arbeiten.
Auf einen solchen treffen Sie am Samstag beim Poetenfest in Erlangen. Sie diskutieren mit dem Reichhart-Biografen Roland Ernst über »Das Böse als Held«. Würden Sie den Henker Johann Reichhart oder seinen Gehilfen August Unterseher als »böse« bezeichnen?
Ich möchte der Diskussion über diese Frage nicht vorgreifen. Aber ich denke, man wird sowohl den realen Johann Reichhart als auch den fiktionalen August Unterseher einzeln betrachten müssen. Was sie verbindet, ist, dass sie Menschen sind, keine Monster. Reichhart hat den Beruf des Scharfrichters von seinem Onkel übernommen, eine Familientradition. August kommt durch falsche oder nicht getroffene Entscheidungen an seine Seite. Beide sind Kinder ihrer Zeit, aber beide hätten die Möglichkeit gehabt, ihre Wege in andere Bahnen zu lenken. Warum sie es nicht taten und warum sie mithalfen, das zu zerstören, wofür sie auch hätten einstehen können, genau das wollte ich mit dem Roman untersuchen.
Martin Beyer: Und ich war da. Ullstein, 192 S., geb., 20 €.
»Das Böse als Held - Ein Nazi-Henker zwischen Fiktion und Recherche«: Diskussion mit Martin Beyer und Roland Ernst am 31. August beim »Poetenfest« in Erlangen um 17.30 Uhr in der Orangerie im Schlossgarten.
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