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- »Und der Zukunft zugewandt«
Das ungute Schweigen
Die DDR-Aufbaujahre: »Und der Zukunft zugewandt« erzählt von einer aus sowjetischer Lagerhaft entlassenen Kommunistin
In diesem Film ist viel Schweigen. Nicht jenes gute Schweigen, das ein Lauschen nach innen ist und keiner Worte bedarf. So ein Schweigen ist das hier nicht, sondern ein ungutes. Das Verbot zu reden gärt im Verborgenen, vergiftet die Seele.
Die hier erzählte Geschichte Antonia Bergers, die auf Gesprächsprotokollen basiert, ist kein Einzelfall. Es gab bis 1989 eine verborgene Geschichte der DDR, über die zu sprechen bei Strafe verboten war. Denn der lange Schatten Stalins sollte dem Klassenfeind keine Munition liefern. Auch mein Vater durfte bis zur Wende nicht über fünf Jahre Haft in Sonderlagern des sowjetischen Geheimdienstes NKWD sprechen, vormalige KZs wie Sachsenhausen. Ins erste dieser Lager kam er als Siebzehnjähriger, ohne Gerichtsurteil. Zu Unrecht, aber darüber sollte geschwiegen werden. Und wer in der DDR blieb, oft waren es überzeugte Sozialisten, die gar nicht in den Westen wollten, hielt sich an das Verbot.
Auch Bernd Böhlich erzählt in seinem großartigen Film die Geschichte solcherart Schweigens über die Dinge: Die Kommunistin Antonia Berger war 1938 mit ihrer Agitpropgruppe »Kolonne Links« in die Sowjetunion gekommen. Dort wurden sie alle als Spione verhaftet und hingerichtet, bis auf Antonia, die mit ihrem Mann und der Tochter in Lagerhaft nach Workuta kam. Frauen und Männer wurden separiert - und bei einem nächtlichen Versuch ihres Mannes, seine Tochter an ihrem Geburtstag zu besuchen, wird dieser von einer russischen Wache gestellt und, wegen des angeblichen Fluchtversuchs, sofort erschossen.
Antonias Tochter ist bereits schwer krank, da werden 1952 einige aus dem früheren Umfeld von Wilhelm Pieck, dem Präsidenten der DDR, auf Intervention von dessen Sohn in die DDR entlassen. Auch Antonia und ihre Tochter kommen nach langen Jahren Lagerhaft frei. Die Tochter wird im Krankenhaus mit dem da noch kostbaren Penicillin behandelt und so gerettet, die Mutter bekommt eine Wohnung und eine leitende Stelle im neuen Haus des Volkes. Man erinnert sich, dass die Genossin einmal erfolgreich Kulturarbeit geleistet hat. Man bietet ihr vieles, sogar einen der ersten Fernseher, pünktlich zum Start des Sendebetriebs in Adlershof. Man verlangt nur eines: Unterordnung und Schweigen über das Erlebte. Sie aber weiß, nicht die Faschisten haben ihren Mann und die Mitglieder der »Kolonne Links« getötet, sondern die eigenen Genossen. Wenn sie darüber schweigt, dann wird sie, wie viele andere vom Stalinismus genauso wie vom Faschismus Beschädigte, zu den führenden Genossen des Landes, vielleicht sogar zur Nomenklatur gehören.
Aber wie kann sie über das Ungeheuerliche schweigen? Im Film spielt Swetlana Schönfeld (lange Jahre Ensemblemitglied am Maxim-Gorki-Theater) Antonias Mutter. Als Antonia ihr auf einem Bauernhof wiederbegegnet, reagiert sie erbittert und abweisend: So viele Jahre ohne Lebenszeichen, der Vater sei darüber gestorben, und Briefmarken werde es doch wohl auch in der Sowjetunion gegeben haben, oder? Und wieder schweigen müssen. Von Swetlana Schönfeld hatte Bernd Böhlich erfahren, dass sie selbst in einem sowjetischen Arbeitslager geboren wurde.
Das Schweigen dieses Films legt sich beim Zuschauen schwer auf die Brust. Wie kann man so leben? Der Arzt, der im Krankenhaus Antonias Tochter rettete, erfährt vom Schicksal der einst Inhaftierten - und geht zur Parteileitung, um sich zu erkundigen, ob das die Wahrheit sei. Antonia wird verhaftet. Im Verhör sagt der Vernehmer, erregt auf sein Holzbein klopfend, das hier habe er aus Buchenwald von den Nazis behalten, und sie verleumde die siegreiche Sowjetunion. Das war noch vor dem XX. Parteitag der KPdSU und Chruschtschows Eingeständnis von Stalins Verbrechen. Aber wieder nur in einer Geheimrede.
Die Geschichte des Kommunismus, der das Pech hatte, von der Utopie zur Wissenschaft werden zu sollen, war eine Tragödie, aber wurde dennoch von vielen, die sie durchlitten, als notwendige Alternative zu dem, was mit Deutschland unter den Nazis passiert war, auch wieder bejaht. Darüber ist heute schwer zu urteilen - und niemand sollte es sich leicht damit machen. Böhlich im Interview: »Die Reduzierung der DDR auf Mauer, Stasi und Doping ist nicht nur unerträglich, sondern schlichtweg falsch. Daher rühren viele Verwerfungen und Spannungen zwischen Ost- und Westdeutschen und als trotzige Reaktion manchmal eine Verklärung der DDR.«
Mit der Wende 1989 sieht sich Antonia schließlich erneut als Verliererin, gescheitert beim Versuch, mit der DDR eine bessere Zukunft aufzubauen. Gescheitert auch an der Lüge, am Schweigen über all die Irrwege und Verbrechen?
Auf die Frage, warum gerade junge Menschen diesen düsteren Film sehen sollten, antwortet Böhlich: »Jede gesellschaftliche Vision ist zu hinterfragen, jede politische Entscheidung. Nichts ist alternativlos.« Darum geht es, auch die Gegenwart in ihrer Neigung zur Selbstherrlichkeit bleibt Teil eines langen Geschichtsprozesses. Die Frage ist dabei nur, ob wir dabei die Objekte oder die Subjekte sind.
Diesen Film sollte man nicht nur als eine beklemmende Geschichtsstunde sehen, die sie auch ist, sondern ebenso als ein hochklassiges filmisches Kammerspiel vor den Wirrnissen der Zeit. Es ist auch ein Fest der Schauspieler: Vor allem Alexandra Maria Lara als Antonia in ihrer Härte gegen sich selbst, die immer wieder Risse und Sprünge bekommt. Aber ebenso stark Robert Stadlober als Arzt, der sich bald nach Hamburg absetzt, Peter Kurth als brachialer Vernehmer, der seine Weltsicht absolut setzt, oder Barbara Schnitzler als Leidensgenossin, die mit Antonia aus Workuta in die DDR kam. »Kaum sind wir hier, verbieten sie uns schon den Mund«, so sagt sie und flieht in den Westen. »Nein, sie retten mein Kind und geben uns eine Wohnung und eine Perspektive«, widerspricht Antonia.
Beides ist richtig, das macht die Geschichte so schwierig. Und jeder, der es sich leicht mit ihr macht, lügt.
»Und der Zukunft zugewandt«, Deutschland 2018. Regie/Buch: Bernd Böhlich; Darsteller: Alexandra Maria Lara, Robert Stadlober, Stefan Kurt. 108 Min.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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