Geheimdienste als Zensoren zivilgesellschaftlichen Engagements

Linkes Hans-Litten-Archiv aus Göttingen klagt gegen Verfassungsschutzbericht

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich wollte das Hans-Litten-Archiv nur den heute fast vergessenen Widerstand der Roten Hilfe gegen den NS-Terror in Erinnerung rufen. Eine Veranstaltungsreihe mit der Broschüre »Helft den Gefangenen in Hitlers Kerkern« könnte dem gemeinnützigen Verein nun aber zum Problem werden: im Verfassungsschutzbericht des Bundes und Niedersachsens taucht es unter anderem deshalb als »Struktur der Roten Hilfe« auf, die vom Verfassungsschutz als »linksextremistisch« eingestuft wird. Dagegen klagt das 2005 gegründete Archiv nun.

Tatsache ist, dass sich die Büros der beiden Vereine im selben Gebäude in Göttingen befinden. Das Archiv ist nach einem Rechtsanwalt der ehemaligen Roten Hilfe Deutschlands benannt, der 1938 im KZ Dachau ermordet wurde. Es sammelt und archiviert Dokumente, die die Geschichte der unterschiedlichen Roten Hilfen und anderer Solidaritätsorganisationen der Arbeiterbewegung und sozialer Bewegungen zeigt. Dazu gehören auch Themen wie politische Justiz oder Repression gegen Linke.

Dennoch, die Einordnung des Verfassungsschutzes treffe trotz einer »gewissen Nähe« definitiv nicht zu, sagt Nikolaus Brauns, Vorsitzender des Hans-Litten-Archivs im Gespräch mit »nd«. »Wir sind ganz klar ein eigenständiger Verein und haben eigene Aufgabenbereiche«, erklärt Brauns. Im Gegensatz zur Roten Hilfe leiste man keine praktische Solidaritätsarbeit mit politisch Verfolgten. »Wir arbeiten wissenschaftlich, archivieren und machen Bildungsveranstaltungen.« Dass das Archiv bei einer dieser Veranstaltungen, neben vielen anderen – etwa der Rosa-Luxemburg-Stiftung oder der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes« – auch mit der Roten Hilfe zusammenarbeitete, führt der Verfassungsschutz nun als Beleg für die Zugehörigkeit zur Roten Hilfe an. Auch, dass das Archiv auf seiner Internetseite Zeitungen verschiedener Roter Hilfen der 70er Jahre veröffentlicht hat, wird in dem Bericht genannt. »Der Verfassungsschutz ignoriert, dass es seit den 20er Jahren im In- und Ausland eine Vielzahl verschiedener Roter Hilfen gab und gibt, die nicht mit dem heutigen Rote Hilfe e.V. identisch sind«, so Brauns.

Eine Nennung im Verfassungsschutzbericht kann dazu führen, dass dem Archiv die Gemeinnützigkeit gestrichen wird. »Wir leben aber von Spenden, die uns dann fehlen würden«, erklärt Brauns. Auch sei fraglich, ob weiterhin Praktikant*innen beschäftigt werden können: »Die werden es sich zweimal überlegen, ob sie einen Verein in ihrem Lebenslauf haben wollen, der im Verfassungsschutzbericht genannt wird.« Zuletzt würde der Verein auch das Archivprivileg verlieren, das ihn von einigen Punkten der Datenschutzgrundverordnung entbindet, so Brauns. Angeordnet wurde die Nennung des Archivs offenbar noch von Hans-Georg Maaßen (CDU) in seinen letzten Amtswochen als Verfassungsschutzpräsident. Wie auch immer die Klage ausgeht: »Wir wehren uns auch exemplarisch für andere gemeinnützige Vereine«, erklärt Brauns. Man wolle nicht zulassen, dass die Geheimdienste als Zensoren zivilgesellschaftlichen Engagements auftreten.

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