Zehn blöde Sprüche und weitermachen

Melanie Lueft erzählt, was sie beim Drehen von »Sexism is a bitch« über Frauen und Feminismus im Hiphop gelernt hat

  • Lea Schönborn
  • Lesedauer: 7 Min.

Warum haben Sie den Film »Sexism is a bitch« gemacht?

Da sind zwei Sachen zusammen gekommen. Ich musste meine Bachelorarbeit machen, habe Kommunikationsdesign studiert. Und in der selben Zeit habe ich in einem Hiphop-Magazin von einer Frau gelesen, die auf einem Festival sexuell belästigt wurde. Ich habe dann herausbekommen, dass diese Frau Helen Fares war, sie hatte das Openair Frauenfeld moderiert. Ich mag Hiphop sehr gerne, möchte aber auch diese Kontroversen aufzeigen. Also habe ich Helen angeschrieben, habe ihr alles erklärt, und sie war direkt dabei.

Sie wollten bewusst alle Bereiche im Hiphop abdecken: Graffitisprayerin, Tänzerin, DJ, Rapperin. Haben Sie auch überlegt, wen Sie da genau ansprechen? Weil jede Frau auch eine andere Geschichte erzählt.

Ich hatte ein paar Frauen auf der Liste stehen und musste natürlich gucken, wie ich an sie herankomme. Antifuchs fand ich zum Beispiel spannend, weil sie eine Maske trägt und auch wegen der Art und Weise, wie sie rappt. Sie hat einen Track, der heißt »Wie ein Mann«. In einem anderen Track heißt es: »Wenn ich rappe, sind sie leise.« Sie nimmt sich ihren Raum einfach.

Was hat Sie während des Filmdrehs überrascht?

Für mich war es insgesamt ein sehr krasser Prozess. Ich hatte mich davor nicht so intensiv mit Feminismus und Sexismus beschäftigt, hatte das Gefühl, davon nicht so stark betroffen zu sein. Und erst beim Drehen sind mir viele Sachen bewusst geworden. Zum Beispiel wurde ich mit der Meinung konfrontiert, dass, wenn eine Frau Bock hat, sich sehr sexy anzuziehen, das auch okay ist. Es sollte doch Teil von Feminismus sein, dass Menschen akzeptiert und nicht in eine Schublade gesteckt werden.

Inwiefern ist das feministisch, sich körperbetont anzuziehen?

Weil man zu seinem Körper und bestimmten Verhaltensweisen steht. Wenn eine Tänzerin sich leicht bekleidet hinstellt, hat sie da vielleicht einfach Bock drauf und möchte sich so darstellen, oder sie möchte einfach Geld verdienen. Und das ist dann auch okay für sie.

Als SXTN letztes Jahr auf dem Fusion-Festival gespielt haben, hat das eine Debatte ausgelöst, inwiefern die beiden Rapperinnen links oder feministisch genug sind.

Ja, da gibt es natürlich geteilte Meinungen. Ich finde, jede soll machen, was sie will und wie sie es für richtig hält. Natürlich gibt es dann Personen, die sagen, das sei nicht die korrekte Art und Weise, um feministisch zu sein. Die beiden hatten sich auch nicht hingestellt und gesagt: Wir sind Feministinnen. Ihr Feminismus war eher unbewusst - einfach dadurch, dass die auf der Bühne gestanden und Präsenz gezeigt haben.

Alle Frauen im Film verwenden das generische Maskulinum. Wieso?

Das liegt zum Teil an den englischen Begriffen. Da sagt man ja nicht, man sei Writerin. Aber dennoch ist es wichtig zu sagen: Hey, ich bin eine Rapperin. Dann merken die Leute, dass es auch Frauen gibt, die diese Musik machen.

Sie hören auch privat Hiphop. Stehen bei Ihnen mehr männliche oder weibliche Rapper*innen auf der Playlist?

Ich muss ehrlich sagen, das sind schon mehr Männer. Ich hatte früher eine Aggro-Berlin-Phase, aber nur eine kurze. Ich komme aus einem kleinen Dorf, und da wurde man dafür verspottet, dass man so etwas gehört hat.

Weil es nicht reingepasst hat in die Dorfidylle?

Ja. Irgendwann kam dann diese neue Welle mit Cro, Casper und Prinz Pi.

Ein bisschen softer?

Damit konnte man sich in dem Alter dann einfach mehr identifizieren. Jetzt fällt mir erst auf, dass das alles Männer waren, die ich gehört habe. Oft werden einfach die gehört, die da sind. Es gab viel weniger Frauen, die damals Aufmerksamkeit bekamen. Aber zur Zeit bemerke ich dort voll die Bewegung und habe das Gefühl, dass immer mehr Frauen in die Szene drängen. Natürlich habe ich jetzt aber auch einen anderen Blick dafür, weil ich nach Frauen suche.

Antifuchs meint im Film, dass man sich daran gewöhnen müsse, dass eine Frauenstimme auf einen Beat gepackt wird. Stimmt das?

Letztes Jahr auf dem Splash-Festival habe ich »Sexism Is A Bitch«-Sticker verteilt und mit Besuchern diskutiert. In einer Kloschlange habe ich mit einer gequatscht, die meinte, sie könne sich Frauenstimmen nicht anhören, aber Antifuchs fände sie cool. Und ich war so: Okay ... Die Besucherin hatte also etwas gegen den Klang der weiblichen Stimme auf einem Rapbeat. Ich glaube aber, dass das vor allem Gewohnheitssache ist.

Müssen Frauen denn typisch männliche Rollenbilder kopieren, um erfolgreich zu sein?

Man muss auf jeden Fall stark sein, um sich durchzuboxen und nicht unterzugehen. Dadurch hat man eher härtere Wesenszüge. Du bekommst halt zehn blöde Sprüche reingedrückt und musst trotzdem weitermachen. Ich würde nicht sagen, dass man da männliche Rollenbilder nachahmt, weil wer sagt eigentlich, dass diese Wesenszüge allein männlich sind?

Werden Frauen im Hiphop anders angeguckt?

Wenn man als Frau rappt, hat man immer noch dieses Alleinstellungsmerkmal. Aber wenn man als Frau zum Beispiel sprüht, geht es im Endeffekt nur darum, wie das Graffito aussieht. Und bei Graffiti an der Wand hast du keine Ahnung, ob das ein Mann oder eine Frau gemacht hat.

Im März fand die Filmpremiere im Yaam in Berlin statt. Wie war es für Sie, Ihr Projekt auf der Bühne zu sehen?

Ich hatte sehr viel Respekt davor, so ein Event in Berlin zu machen. Man weiß ja nie, ob es gut ankommt, ob da viele Leute kommen, wird das cool werden? Dann war die Halle aber voll. Es war eine schöne Energie, den Film zu sehen und ihn dann noch durch ein Konzert zu ergänzen. Man macht zusammen Party und merkt, jetzt stehen auch wieder nur Frauen auf der Bühne, und die haben es alle drauf. Es gibt auch einen weiblichen Hiphop!

Was meinen Sie mit weiblichem Hiphop?

Man denkt ja immer, Hiphop sei so männerdominiert. Aber du kannst auch ein Event machen, bei dem ausschließlich Frauen auf der Bühne stehen.

Würden Sie heute noch Aggro Berlin hören?

Es ist ja irgendwie auch Kunst. Ab und zu höre ich die schon mal, aber ihre Musik ist jetzt nicht etwas, das ich mir jeden Tag reinziehe. Bei Aggro Berlin wurde die Provokation aber auch bewusst als Stilmittel benutzt, und damit haben sie für die ganze Szene eine neue Art von Musik ermöglicht.

Trennen Sie da Privatperson von der öffentlichen?

Es geht einfach darum, nicht kopflos zu konsumieren. Und klar ist Hiphop auch irgendwo einfach Unterhaltung. Aber man sollte Musik bewusst genießen und drüber nachdenken, was und wen man da anhört.

Ist Hiphop an sich sexistisch?

Hiphop ist doch eine Spiegelung der Gesellschaft. Deswegen findet Sexismus auch dort, so wie in den meisten Teilen der Gesellschaft, statt. In der Entstehungszeit des Hiphop gab es noch eine strengere Rollenverteilung. Bei der ersten richtigen Hiphop-Party vor 45 Jahren kamen die Frauen günstiger rein. Das ist ja auch sexistisch. Ist zwar ein paar Jährchen her, aber leider noch immer in der Gesellschaft verankert.

Sollte sich dann nicht langsam mal etwas ändern?

Die Gesellschaft ist immer noch sexistisch. Aber es gibt auch Untergruppen im Hiphop, politisch korrekten Rap. Um jetzt ein paar Frauen zu droppen: Haszcara und Alice Dee & Leila A. zum Beispiel.

Die große Frage lautet ja, wie man diese Ungleichheit ändern kann. Antifuchs meint im Film: »Mach doch einfach, nimm dir deinen Raum.«

Für manche Frauen ist es schwieriger, sich ihren Raum zu nehmen. Viele Frauen sind damit aufgewachsen, sich selbst zurückzunehmen. Deswegen ist es auch wichtig, dass manche Frauen dafür kämpfen und Vorbilder sind. Vorbilder können Frauen sein, die rappen, aber auch Frauen, die auf Demos gehen. Es gibt aber auch genug Frauen in der Szene, die meinen, sie hätten nie Probleme mit Sexismus gehabt. Für mich war das ja auch lange kein Thema. Aber als ich angefangen habe, mich damit zu beschäftigen, sind mir immer mehr Sachen aufgefallen - vor allem auf struktureller Ebene.

Der Film »Sexism is a bitch« wird am Montag, 9. September, um 20 Uhr im Hofkino.Berlin, Franz-Mehring-Platz 1, Berlin gezeigt.

Eingebettet wird das Screening in eine Tanzperformance von Nicole Adriana und einer Fragerunde mit Rapperin Antifuchs, Sprayerin SYME und Regisseurin Melanie Lueft.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Dazu passende Podcast-Folgen:

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!