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Katalanen protestieren präventiv
Feiertagskundgebung richtet sich gegen erwartete Urteile des Obersten Gerichtshofes
Seit Jahren ist die »Diada«, wie der katalanische Nationalfeiertag heißt, von riesigen Protesten geprägt. Auch am Mittwoch werden laut den Prognosen mehr als eine Million Menschen in der Metropole Barcelona demonstrieren. »Ziel Unabhängigkeit«, lautet das Motto. Ein gelber fünfzackiger Stern an einem Stab wird von Hunderttausenden ins Zentrum gezeichnet. Der Stern wird um einen zentralen Platz gebildet. Gezeigt werden soll, dass man aus unterschiedlichen Richtungen kommend auf ein Ziel zustrebt. Zur Ausrüstung gehören gelbe Baustellenhelme. Sie stehen für das gewaltfreie Vorgehen und für Schutz gegen die Repression. Damit wird an Prügelorgien spanischer Sicherheitskräfte beim Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 2017 erinnert.
Die Demonstranten werden keiner Route folgen, sondern einer ausgeklügelten Choreographie. Es gibt 24 Abschnitte. Mehr als 300 000 Menschen ließen sich registrieren, einen Abschnitt zuteilen und haben das T-Shirt gekauft. Damit war Tage vor der Diada klar, dass alle Abschnitte gut gefüllt sind. Der eigentliche Akt beginnt um 17 Uhr 14, um an den Fall Kataloniens im Jahr 1714 unter die spanische Bourbonenherrschaft zu erinnern.
Die Basis macht Druck auf eine »strategische Einheit« der Parteien. Auf ein einheitliches Vorgehen drängen die großen zivilgesellschaftlichen Organisationen »Katalanischer Nationalkongress« (ANC) und die Kulturorganisation Òmnium Cultural sowie die Vereinigung der Gemeinden für die Unabhängigkeit (AMI), die den Protest gemeinsam organisieren. Die drei Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, zeigten sich zuletzt darüber zerstritten, wie die Unabhängigkeit umgesetzt werden soll.
Mit Blick auf die zu erwarteten harten Urteile im Prozess gegen zwölf ehemalige Mitglieder der katalanischen Regierung, des Präsidenten von Òmnium Cultural und des ehemaligen ANC-Chefs im Oktober, wird auf eine einheitliche Antwort im Herbst gedrängt. Dass sie verurteilt werden, bezweifelt eigentlich niemand. Die Frage ist nur, ob es eher um die zehn Jahre für Aufruhr oder um die 20 wegen Rebellion werden. Da es die für beide Tatbestände notwendige Gewalt nicht gab, will die Bewegung nur Freisprüche akzeptieren.
Vor der Diada wurden Schritte in Richtung Einheit von den exilierten Führungsmitgliedern gemacht. Die Generalsekretärin der Republikanischen Linken (ERC) Marta Rovira rief mit dem ehemaligen katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont gemeinsam dazu auf, »die Initiative zu ergreifen und zur Aktion überzugehen«. Alle politischen Gefangenen und Exilierten haben einen Brief verfasst und die Diada-Proteste als Vorbote der »Antwort auf das Urteil am Obersten Gerichtshof« bezeichnet, um die »Kraft und das Potenzial der Bewegung« zu zeigen. Immer stärker wird über massiven zivilen Ungehorsam diskutiert. So hat sich eine neue Organisation gebildet, die sich »Demokratischer Tsunami« nennt, um den voranzutreiben. Dahinter stehen vor allem die Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR), in der wiederum die antikapitalistische linksradikale CUP stark ist.
»Hongkong zeigt uns den Weg«, erklärt der ANC-Vizepräsident Josep Cruanyes mit Verweis auf die anhaltenden Proteste in der ehemaligen britischen Kronkolonie. Den Ungehorsam kenne man schon aus der Franco-Diktatur, »die es heute noch gäbe, wären die Leute nicht dagegen aufgestanden«. Politisch gäbe es zwei Modelle: Unabhängigkeitsreferenden wie in Schottland und Quebec, wo Großbritannien und Kanada Unabhängigkeitsreferenden zugelassen haben oder Repression, wie es Spanien, die Türkei oder China derzeit praktizieren.
Die Linksrepublikaner von der ERC sind noch auf einem moderateren Kurs. Anders als die CUP oder die konservativ-liberale Liste »Gemeinsam für Katalonien« (Junts per Cat) von Puigdemont, ist die ERC sogar dafür, den Sozialdemokraten Pedro Sánchez erneut zum spanischen Regierungschef zu machen. Das lehnen CUP und Junts per Cat ab, da auch Sánchez an der Repression festhält, über ein Referendum nicht sprechen will und keinen Plan für Katalonien hat.
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