Alter vor Schönheit

Spaniens Basketballer sind nicht mehr die Schnellsten, dennoch stehen sie nach dem Viertelfinalerfolg gegen Polen im WM-Halbfinale

Die Jubelrufe der spanischen Journalisten im Oriental Sports Center von Shanghai waren kaum verklungen, da begannen die Herren schon wieder zu zittern. Gerade hatten sie eine der großen Überraschungen dieser Basketball-Weltmeisterschaft an den Bildschirmen im Pressezentrum mitverfolgt, als Argentinien den Titelanwärter Serbien aus dem Turnier warf. Nun hofften dieselben Journalisten, dass es nicht noch eine Sensation geben würde, denn diesmal waren die Spanier im Viertelfinale gegen Polen die großen Favoriten. Es sollte fast zwei Stunden dauern, bis ihre Anfeuerungsrufe »Arriba!« und »Vamos!« endgültig Wirkung zeigten.

Die vom Hamburger Bundesligatrainer Mike Taylor trainierten Polen waren neben Tschechien die einzigen Außenseiter, die es ins Viertelfinale geschafft hatten. Von einer günstigen Vorrundenauslosung gesegnet, hatten sie ihre ersten vier Spiele gewonnen, darunter eines überraschend gegen Russland. Danach aber verloren sie ihr letztes Zwischenrundenspiel klar gegen Argentinien - das Maximum schien erreicht. Alles andere als eine ähnlich hohe Niederlage gegen Spanien, den letzten Weltmeister, der nicht USA hieß, wäre eine Überraschung gewesen.

Doch die Polen zeigten erneut alles, was sie in den vergangenen zehn Tagen in China so stark gemacht hatte: uneigennütziges Teamspiel, eine intensive Verteidigung und sichere Schützen aus der Distanz. Und so stand es zur Halbzeit lediglich 46:41 für die Iberer, die es im zweiten Viertel verpasst hatten, sich von den Polen abzusetzen. Immer wenn der Rückstand zu groß zu werden drohte, trafen Lukasz Koszarek, Adam Waczynski oder der eingebürgerte US-Amerikaner A. J. Slaughter ihre Dreipunktwürfe für Polen.

»Es ist eine weitere Gelegenheit für uns, zu zeigen, dass wir mit solchen Teams mithalten können«, hatte Slaughter vor der Partie keinerlei Lampenfieber erkennen lassen. Dabei ist Polen erst das zweite Mal bei einer WM dabei. Und die erste Teilnahme liegt mehr als 50 Jahre zurück. »Das Spiel gegen Argentinien war ein Aussetzer. Wir sind besser. Und das werden wir gegen Spanien auch zeigen«, hatte Slaughter angekündigt. In Shanghai ließ er den Worten am Dienstagabend Taten folgen. Mit seinen 19 Punkten hielt er seine Mannschaft lange im Spiel.

Die goldene Generation der Spanier hat ihren Zenit längst überschritten. Der 34-jährige NBA-Center Marc Gasol war nie der Schnellste, schleicht aber jetzt noch langsamer übers Feld als früher; sein Bruder Pau ist gar nicht erst angereist. Und so müssen es die Europameister von 2015 vor allem defensiv richten. »Wir sind längst nicht mehr mit so viel Offensivtalent ausgerüstet wie in der Vergangenheit«, gibt Spaniens Erfolgstrainer Sergio Scariolo zu. »Um mit den Besten mitzuhalten, müssen wir richtig stark verteidigen. Das ist unser Plan.«

Genau diese Abwehrstärke zeigten die Spanier zu Beginn der zweiten Hälfte. Ein ums andere Mal wurde am eigenen Korb dichtgemacht, und vorn drehten die Stars auf: Spielmacher Ricky Rubio und Flügelspieler Rudy Fernandez, die schon vor elf Jahren im Olympiafinale in Peking standen, erzielten zehn Punkte in Serie zum 58:44.

Doch dann kam wieder Slaughter, der sowohl aus der Distanz als auch mit schnellen Zügen zum Korb gefährlich blieb. Mitte des letzten Spielabschnitts kam Polen wieder auf vier Punkte heran. Näher aber nicht. Zwei Dreier von Rubio entschieden letztlich die Partie, die kurze Zeit später 90:78 endete.

Die in die Jahre gekommenen Spanier spielen nicht mehr den schnellsten und schönsten Basketball, dafür aber wohl den cleversten dieser WM. Kaum ein Team verfügt über so viel Erfahrung, und so gewannen sie bislang all ihre sechs Spiele in China. Ob Erfahrung allein sie zum Titel tragen kann, ist bei der verbliebenen Konkurrenz aber sehr fraglich.

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