• Berlin
  • Deutsche Wohnen & Co enteignen

Gutachter: Enteignen ist legitim

Linksfraktionen veröffentlichten Expertise des renommierten Staatsrechtlers Joachim Wieland

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit dem Staatsrechtler Joachim Wieland haben die Linksfraktionen im Bundestag und im Abgeordnetenhaus nicht irgendeinen Wissenschaftler für ein Rechtsgutachten zum Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« gewinnen können. Der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Speyer hat bereits mehrfach Prozessvertretungen für Bundespräsidenten übergenommen. Als Grundgesetzkommentator beschäftigt er sich seit 25 Jahren mit Artikel 15 des Grundgesetzes. Dieser besagt: »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.« Auf Grundlage dieses Paragrafen fordert die Berliner Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen«, dass private Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, vergesellschaftet werden.

»Ich habe immer gedacht, die Beschäftigung mit Artikel 15 ist reine rechtswissenschaftliche Theorie und wird keine praktische Bedeutung erlangen«, sagte Wieland am Mittwoch bei der Vorstellung des Rechtsgutachtens im Abgeordnetenhaus. Dass der Artikel 15 in Berlin nun doch praktisch werde, habe ihn erfreut. Die Kernergebnisse des Gutachtens unterstützen das Ansinnen der Berliner Initiative: Grundsätzlich darf das Land Berlin ein Gesetz erlassen, das die Vergesellschaftung von großen Wohnungskonzernen mit jeweils mehr als 3000 Wohnungen vorsieht. Das Land Berlin hat die Gesetzgebungskompetenz, weil der Bund von seiner »konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis« für ein Vergesellschaftungsgesetz bislang keinen Gebrauch macht.

»Das Grundgesetz selber sagt, ein legitimes Ziel ist die Vergesellschaftung«, betonte Wieland. Zur Erreichung dieses Ziels sei die Sozialisierung geeignet, also die Enteignung gegen Entschädigung. Ein »milderes Mittel« sei nicht ersichtlich. Was die Höhe der Entschädigung angeht, die die Konzerne für ihre Wohnungsbestände bekommen sollen, stellte der Gutachter fest: »Die Höhe der Entschädigung hängt von einer gerechten Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten ab, muss aber keineswegs am Verkehrswert orientiert sein.« Kurz: Es wäre auch denkbar, dass die Konzerne in einer Höhe entschädigt werden, die den Boden- und Immobilienwerten entsprechen, die sie vor der Zeit des Immobilienbooms hatten.

Laut Wieland steht die Schuldenbremse einem Sozialisierungsgesetz nicht entgegen. »Die Schuldenbremse wird in der öffentlichen Diskussion überschätzt«, sagte Wieland. Sie betreffe nämlich nur die Haushalte von Bund und Ländern, aber nicht den einer noch zu schaffenden Anstalt des öffentlichen Rechts, die für die Übernahme der Wohnungen in Berlin durchaus Kredite aufnehmen dürfte. Das gesamte Gutachten, das die Linksfraktionen sicher eine fünfstellige Summe gekostet haben dürfte, ist seit Mittwoch auch online auf der Seite der Berliner Linksfraktion einzusehen.

Bei der Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen«, die das Volksbegehren initiierte, wurde das neue Gutachten begrüßt. »Nach allem, was ich bisher weiß, ist das Gutachten eine wirkliche Bombe, weil es uns in allen Punkten recht gibt«, sagte Michael Prütz dem »nd«. Die Vertrauensperson des Volksbegehrens sieht nun den Berliner Senat in der Pflicht. »Der Innensenator hat jetzt keinen Grund mehr, das Volksbegehren zu verschleppen.«

Nach der Absolvierung der ersten Stufe wird das Volksbegehren derzeit vom Senat rechtlich eingeschätzt. Ob das Volksbegehren verfassungsgemäß ist, wird dabei vom Ressort des Innensenators Andreas Geisel (SPD) geprüft. »Weil es ein komplexes Thema ist, wird die rechtliche Prüfung noch ein bisschen laufen«, sagte ein Sprecher von Geisel am Mittwoch. Am Ende der Prüfung werde der Senat als Ganzes beschließen, ob das Volksbegehren verfassungskonform ist oder nicht, so der Sprecher.

In eine abschließende Einschätzung dürfte auf jeden Fall auch das Gutachten Wielands Eingang finden. Der renommierte Staatsrechtler selbst empfiehlt dem Innensenator, nicht das Verfassungsgericht anzurufen. »Das, was die Initiative auf den Weg bringen will, lässt sich verfassungsgemäß umsetzen«, schätzt er ein.

Die LINKE will das Gutachten nun politisch einsetzen. Einerseits, um den Wohnungsmarkt auf das Gemeinwohl zu orientieren. Zum anderen als Pfund in der Berliner Debatte mit SPD und Grünen. »Wir verstehen das Rechtsgutachten als Entscheidungshilfe für unsere Koalitionspartner«, sagte Linksfraktionschef Udo Wolf. Anders als die Grünen, die wie die Linkspartei das Enteignungs-Begehren unterstützen, hat sich die SPD in Berlin noch nicht dazu positioniert. Eine Entscheidung wird für den nächsten Landesparteitag erwartet.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.